Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Simon Schweitzer dadurch Respekt, daß er sich ein blütenweißes Hemd mit bauschigen Ärmeln und einer bordürten Knopfleiste anzog, das selbst einer Jeanne d’Arc auf den Schlachtfeldern des Hundertjährigen Krieges zur Zierde gereicht hätte. Es war das einzig verwegene Kleidungsstück, das er besaß. Er warf noch einen Blick in den Spiegel und war hoch erfreut ob dieser stattlichen Erscheinung. Und es ward Licht, zollte er sich Respekt.
Viele Spazier- und Müßiggänger bevölkerten die Straßen. Da er Zeit in Hülle und Fülle hatte, wählte er den Weg über die Gärtnerei im Bischofsweg. Er rechnete stark damit, daß Karin anderes im Kopf haben würde, als sich über seinen Besuch zu wundern. Und wenn doch, würde er halt zugeben, daß er im Auftrag seines Schwagers handle. Das wäre auch kein allzu großes Malheur. Aber es kam alles ganz anders.
Der Nobelring war per se und wie alle anderen Ringe hier oben kreis- oder halbkreisförmig angelegt. So konnte Simon Schweitzer das Monstrum an Übertragungswagen erst sehen, als er schon fast vor dem Schwarzbachschen Domizil angelangt war. Das erste Mal seit langem bedauerte er es, keinen Fernseher zu besitzen. Es waren keine Kameramänner auf der Straße. Möglicherweise war man mit Innenaufnahmen beschäftigt, fuhr es ihm in den Sinn. Zwei Kugelakazien in hölzernen Kübeln bewachten das imposante Eingangsportal. Schlicht von Tür zu sprechen, wäre Blasphemie gewesen. In einem grün-weißen Mannschaftswagen saßen einige Polizisten und waren oder taten beschäftigt. Einige Schaulustige blieben als Spaziergänger getarnt in einigem Abstand stehen und starrten. Herr Schweitzer ging geradewegs am Haus vorbei und schaute verstohlen auf die Fenster. Doch lediglich orangerote Fackellilien leuchteten auf dem schmalen Beet am Bürgersteig und erregten seine Aufmerksamkeit. Auf Gartenzäune wurde hier oben weitgehend verzichtet. Man war unter sich, die Immobilienpreise sorgten dafür.
Simon Schweitzer kam sich töricht vor. Hatte er sich etwa eingebildet, mal kurz hier oben vorbeizuschauen, und den Fall, wenn es denn überhaupt einer war, im Handstreich aufzuklären? Er, der große Sherlock Holmes von Dribbdebach. Was er sich da überhaupt einbildete. Einen Ehegatten des Bordellgangs und einen Malergesellen der Schwarzarbeit während einer angeblichen Krankheitsperiode überführt zu haben, waren die stolzen Resultate, derer er sich rühmen konnte. Ob ihm denn sein Leben keinen Spaß machte, mußte er sich da in Sachen reinhängen, die ihn partout nichts angingen? Lächerlich, einfach nur lächerlich.
Nachdem sich Herr Schweitzer nach allen Regeln der Kunst fertiggemacht hatte, fühlte er sich nicht etwa schlechter. Nein, er kam sich vor wie Phönix aus der Asche. Er kannte das ja von sich, und dann war es notwendig, gewisse Dinge wieder ins rechte Lot zu rücken. An einer Tanke holte er sich die Sonntagszeitung und eine Tafel Schokolade, und als er wieder bei sich in der Küche saß, war er endgültig wieder mit der Welt im reinen. Er setzte einen Roibuschtee auf und vertrieb sich die Zeit mit Lektüre. In den Gazetten war noch nichts über das Verschwinden des Frankfurter Stadtverordneten zu lesen.
„Wenn ich diesem Deppen noch einmal begegne, dann …“
Simon Schweitzer lag die Frage auf der Zunge, ob der Depp, wer immer das sein mochte, ihr burgundrotes Röcklein nicht fesch gefunden habe. Doch er ahnte, daß diese Frage an diesem Ort und zum jetzigen Zeitpunkt hätte mißverstanden werden können. Laura war in die Küche gestürmt, hatte ihre Handtasche auf den Tisch geknallt und sich am Kühlschrank zu schaffen gemacht.
„Wage ja nicht mich zu fragen, wie’s mir geht. Ich habe einen Brummschädel. Scheiße.“
Sämtliche asiatischen Entspannungsmethoden der letzten Tage schienen in ihrer Wirkung nicht angehalten zu haben, dachte Herr Schweitzer und schaute seiner Untermieterin fasziniert zu.
„Wo ist denn um alles in der Welt die Cola?“
„Aber du hast doch hier noch nie Cola getrunken.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da wußte er schon, daß er einen Kardinalfehler begangen hatte.
Laura drehte sich um, funkelte ihn böse an und fauchte: „Na und. Ist das vielleicht ein Grund, keine Cola im Haus zu haben? Was für einen Scheiß kaufst du überhaupt ein?“
Simon Schweitzer hätte jetzt sagen können, daß es jede Menge Mineralwasser und Orangensaft im Haus habe. Und, daß es seines Wissens sogar noch etwas Tomatensaft gab. Aber auch, daß
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