Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
weitergehen, wenn sie Schwulstlippe, so nannte er Klaus-Dieter bösartig, erst gefunden hatten? Tot oder lebendig, die Probleme fingen erst an, dachte Simon Schweitzer vorausschauend. Trotz des Pfeifchens schlief er schlecht.
Herr Schweitzer träumte von einem vertrauten Klingelzeichen und daß es durch ein Abheben des Hörers beendet wurde. Aber selbst der verrückteste Traum entbehrt nicht einer gewissen Logik, die hier aber insofern nicht gegeben war, als daß in seinem Traum niemand außer ihm selbst den Hörer hätte abnehmen können. Und er hatte definitiv kein wie auch immer geartetes Telefonteil in der Hand. Darob sehr beunruhigt, tauchte er an die Oberfläche.
Simon, für dich, vernahm er gedämpft. Folglich mußte doch irgendwo jemand sein, der ans Telefon gegangen war. Grund genug, eine andere Bewußtseinsebene aufzusuchen und da fiel ihm nur der Wachzustand ein. Also gut. Er öffnete vorsichtig das linke Auge. Da er auf dem Rücken lag, war das erste, was er sah, die gewohnte Muehlenbeckia in ihrer Blumenampel. Zart klopfte es an der Tür. Simon? Ah, Lauras Stimme, damit konnte er was anfangen. Er antwortete mit einem herzhaften Ja. Die Tür ging auf, und seine Untermieterin hielt den schnurlosen Hörer in der Hand. Für dich, eine Frau, flüsterte sie und sah sehr ungesund dabei aus. Wieviel Uhr war es überhaupt? Neun Uhr dreißig, und soweit Herr Schweitzer auf die Schnelle zu eruieren vermochte, war heute Mittwoch, und da hatte Laura theoretisch gefälligst im Architekturbüro zu sein. Oder auf einer Repräsentation oder sonstwo, aber nicht hier. Aber eins nach dem anderen. Er nahm auf dem Bett sitzend den Hörer entgegen und Laura schlich wieder hinaus.
Es war Maria, die enervierend wach und leutselig war. Simon Schweitzer war zwar nicht unbedingt ein Morgenmuffel, obschon man das vielleicht von ihm denken konnte, aber so ein paar Minuten Einarbeitungsphase in den neuen Tag hätte er sich doch gewünscht. Maria erzählte ihm ausführlich von der Nacht mit Karin und Janina auf dem Polizeipräsidium und daß alles nur halb so schlimm war, und daß sie ihm unendlich dankbar sei, wie er die Dinge mit seinen Beziehungen so arrangiert hatte.
Herr Schweitzer forcierte ihren Redefluß mit geschickt eingeworfenen Achs, Ahas und Sosos. Er mußte dringend pinkeln, und als er glaubte, eine Unterbrechung sei keine Unhöflichkeit, erklärte er ihr dies. Auch könne man sich vielleicht am frühen Nachmittag im Café Windhuk treffen, um das Ganze mal in Ruhe durchzugehen. Maria hielt dies für eine tolle Idee. Man verabschiedete sich voneinander.
An den sich gen Nordosten biegenden Bäume an den Zuggleisen vermochte Herr Schweitzer die ungefähre Windstärke einzuschätzen. Die Welt in der Gegend um Frankfurt präsentierte sich in einem ungemütlichen Grauton, wobei partielles Delftblau das Durchsetzungsvermögen von Helios, dem griechischen Sonnengott, erahnen ließ. Nach der Morgentoilette widmete er sich der Ungereimtheit in der Anwesenheit Laura Roths. Er steckte seinen Kopf durch die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei.
„Nein.“
Seine Mitbewohnerin war zwar hin und wieder jenseitig der Normalität, aber im Jammertal würde er sie nicht unbedingt ansiedeln. „Was fehlt dir denn?“
„Alles.“
Das war viel. Ein gebrochenes Bein zu schienen, traute sich Simon Schweitzer zu. Eine Entbindung lag im Bereich des Machbaren und eine leichte Herzoperation mochte mit ein klein wenig fachärztlichem Beistand und Glück auch gelingen, aber bei Allem auf einmal war er überfordert und gestand sich das auch ein. „Das ist aber viel.“
Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Lauras blasses Gesicht. Auf ihrem Schlafanzug spielten niedliche Elefantenkinder mit bunten Bällen, Springseilen und Teddybären.
Herr Schweitzer setzte sich auf den Bettrand und legte eine Hand auf ihre Stirn. „Aber Fieber hast du keins.“
„Doch.“
Okay, bitteschön, Fieber auch noch. „Dann ruf ich am besten mal den Onkel Doktor an.“ Er stand auf.
„Quatsch.“
„Wie? Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich dich hier sterben lasse. Unterlassene Hilfeleistung kann mich ein paar Jahre Gefängnis kosten.“
„Ich hab doch aber nichts“, sagte Laura kraftlos.
„Dafür, daß du nichts hast, siehst du aber sehr kränklich aus.“
„Es ist nur wegen Samstag.“
„Da hast du doch Geburtstag, das ist doch schön“, schlußfolgerte Simon Schweitzer und ihm ging ein Licht auf. Laura wurde dreißig.
„Das ist
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