Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
überhaupt nicht schön.“
„Du glaubst, du wirst alt. Trau keinem über dreißig und so ein Mist, stimmt’s?“
Laura zog eine Schnute.
Herr Schweitzer nahm ihre Hand und tätschelte sie. „Hast du schon deinen Chef angerufen?“
Sie nickte.
„Dann bleib mal besser die nächsten Tage zu Hause.“
Sie nickte sehr heftig.
„Magst du einen Kamillentee? Hilft gegen Fieber und Überalterung.“
„Ja. Du bist sehr lieb.“
Das war sowieso klar. Simon Schweitzer ging in die Küche. Dann zog er sich an und holte die Frankfurter Rundschau aus dem Briefkasten. Nachdem er seine Mitbewohnerin mit Tee und Frühstück versorgt hatte, machte er es sich am Küchentisch gemütlich und schlug die Zeitung auf. Sehr zu seinem Ärger war wieder ein Foto von Schwulstlippe Schwarzbach abgebildet. Der dazugehörige Artikel berichtete von dem mit dem Geländewagen an der polnischen Grenze festgenommenen Polen, der überhaupt kein Pole war, sondern ein Ukrainer mit gefälschtem polnischen Paß, der schon vielfach des Autodiebstahls überführt und auch verurteilt worden war. Nach seiner Aussage, die nach dem momentanen Ermittlungsstand als wahr betrachtet werden mußte, hatte der Ukrainer das Auto in den frühen Morgenstunden des vergangenen Samstags von einer stillgelegten Tankstelle in der Moselstraße des anrüchigen Frankfurter Bahnhofsviertels entwendet. Der Wagen wurde im Moment kriminaltechnisch untersucht, und dringlich wurden Zeugen gesucht, die irgend etwas beobachtet hatten, was mit dem Mitsubishi Pajero in Verbindung gebracht werden konnte. Hinweise würden auf Wunsch vertraulich behandelt, und von jeder Polizeidienststelle entgegengenommen werden. Man ging offensichtlich noch immer von einer Entführung aus, obzwar es vollkommen unüblich war, daß Kidnapper so lange auf ihre Forderungen warten ließen. Was blieb den Bullen auch anderes übrig, überlegte Herr Schweitzer und widmete sich dem Feuilleton. Vielleicht würde ja ein Theaterbesuch mit Maria was bringen.
Apropos Maria. Simon Schweitzer dachte an deren knallenge Jeans und beschloß, sich ebenfalls ein derart jugendliches Kleidungsstück zuzulegen, was aber einen Einkaufsbummel in Hibbdebach unumgänglich machte, waren doch die Sachsenhäuser Bekleidungsgeschäfte mehr auf Greise und Scheintote zugeschnitten.
Der Kleidungs- und insbesondere der Hosenkauf waren für Herrn Schweitzer ein Greuel der gehobenen Art. Immerfort brachte er Schuh-, Hemd-, Slip- und Hosengröße durcheinander. Selbst raffinierteste Eselsbrücken wie Alter plus die sechste Primzahl minus Quersumme seines Geburtstages ergibt Schuhgröße halfen nicht gegen das Vergessen an sich. Aber wie das bei ungeliebten Tätigkeiten nun mal so ist, entweder man erledigte sie stande pede oder sie blieben für Wochen, Monate oder gar Jahre auf der Zu-erledigen-Liste. Er zog sich also an und ging los. Der Wind hatte nachgelassen und die Sonne ihre Arbeit auf Helios’ Drängen wieder aufgenommen.
Simon Schweitzer ging über den Eisernen Steg, die romantischste Art von Dribbdebach nach Hibbdebach zu wechseln, und war froh, seinem hier wohnenden Schwager Hagedorn nicht über den Weg gelaufen zu sein. Er konnte bei einem solch schwierigen Unterfangen keinerlei Ablenkung gebrauchen.
An der Konstabler Wache betrat er ein großes, von Jungvolk frequentiertes Geschäft. Gelbe, orangene und hellgrüne Shirts leuchteten in den Regalen. Nun hatten also die Farben mexikanischer Schrankmalerei Einzug in die Mode gehalten, stellte Herr Schweitzer fest. Jeans gab es auf der ersten Etage. Dort war es auch nicht so voll, und er wurde auch unverzüglich in Empfang genommen, nachdem er einen unsicheren Blick durch das Angebot hatte schweifen lassen.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich hätte gerne eine Jeans.“ Genausogut hätte er sagen können, daß er gerne etwas zu essen hätte. Das junge Mädchen mit der ins Gesicht gekämmten oder gefönten Haarpracht, die an das Liverpool Anfang der Siebziger erinnerte, ging einen Schritt zurück und versuchte, einige zur Anprobe unerläßlichen Nummern zu schätzen, die sich Simon Schweitzer nie merken konnte. Er erwartete nun eine in Rekordzeit heruntergeleierte Zwölffragenliste, die dann zeitraubend Punkt für Punkt geklärt werden mußte und von der er nur Bahnhof verstehen würde.
„Wenn Sie mir bitte folgen möchten“, pulverisierte die Verkäuferin Herrn Schweitzers Befürchtungen.
Derart willenlos gemacht, folgte er ihr gottergeben und bekam einen Stoß von
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