Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
vier Jeans zusammengestellt und überreicht, mit dem er sich in die Garderobe verzog. Die mit dem Silberschimmer sortierte er sofort aus, aber die anderen drei paßten trotz seines Wohlstandsbäuchleins. Allerdings hatten die Hosen sämtlich einen weiten Schlag, wie er ihn schon im Troubadour hatte beobachten können. Das kam natürlich nicht in Frage, lächerlich würde er sich damit machen. Außerdem besaß er keine passenden Schuhe. Zaghaft fragte er nach Röhrenjeans, wie er vor zwanzig Jahren mal eine hatte.
„Oh sorry, nein, führen wir leider nicht mehr.“
Das hatte er sich gedacht. Zwanzig Jahre waren halt kein Pappenstiel, da konnten Kulturnationen ihre Kultur verlieren und Hosenmoden sich grundlegend ändern.
Und dann trat das ein, was älteren Semestern unter dem Begriff Schwindelerregender Übermut bekannt war, und der sich darin äußerte, daß man erst zauderte, aber dann in einem Anfall jugendlichen Leichtsinns, ja fast schon Wahnsinns, genau das tat, was man seinem, mit den Jahren doch sehr zögerlich gewordenen und verängstigten Charakter nimmermehr zugetraut hatte. Dasselbe widerfuhr Herrn Schweitzer: „Dann nehm ich die da.“ Er zog die dunkelblaue aus dem Stoß heraus.
„Eine gute Wahl, steht Ihnen bestimmt sehr gut.“
Er hätte sich jetzt fragen können, und das wäre durchaus rechtens gewesen, ob die junge Göre ihn vielleicht auf den Arm nahm. Doch diese Frage ließ Simon Schweitzer nicht zu, denn noch war seine Mission impossible nicht beendet. Mit der Einkaufstüte in der Hand stürmte er aus dem Jeansladen heraus und in den Schuhladen hinein. In Nullkommanix hatte er ein paar schwarze, vorne spitz zulaufende Lederschuhe erstanden. Der letzte Schrei, wie ihm der junge Schnösel von Verkäufer versicherte. Herr Schweitzer hatte ein Vermögen ausgegeben.
Und weil er schon mal dabei war, ging er auf der Berliner Straße noch in ein Designkleinmöbelgeschäft und kaufte einen Schaukelstuhl aus Peddigrohr, der eine annähernde Bequemlichkeit wie Lauras regenbogenfarbene Hängematte versprach und ebenfalls nicht billig war. Liefertermin sollte Freitag sein.
Laura schien zu schlafen, jedenfalls war ihre Tür geschlossen. Simon Schweitzer ging sofort in sein Zimmer und entledigte sich seiner alten Klamotten, in denen der Mief von Jahrhunderten zu stecken schien.
Kurz darauf blickte ihm ein runderneuerter Simon Schweitzer aus dem Schrankspiegel entgegen. Da sein außergewöhnlichstes Kleidungsstück, das blütenweiße Hemd mit bauschigen Ärmeln, im Wäscheberg vor sich hinmüffelte, ergänzte er sein gewagtes Outfit mit einem hellgrauen Hemd, welches Bestandteil seiner Straßenbahneruniform war. Dann ging er lässig mit seinem Spiegelbild auf und ab. Es war keine Spontanfreundschaft, die da geschlossen wurde, Herr Schweitzer mußte sich erst einmal an sich gewöhnen. Nach zehn Minuten war ihm sein Gegenüber einigermaßen vertraut, gleichsam er ihm noch mißtraute, und dabei ließ er es fürs erste bewenden. Wichtig war, wie Maria diesem Fassadenwandel gegenüberstand. Die Schuhe drückten ein wenig am kleinen Zeh, rechts wie links.
Simon Schweitzer ging in die Küche Tee trinken und den Einkaufszettel für später vervollständigen. Dann blieb noch ein wenig Zeit, sich aufs Bett zu fläzen und Hootie and the Blowfish zu hören, die er von seiner Mitbewohnerin letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Er war betreffs des Musikgeschmacks durchaus variabel.
Im Café Windhuk, welches unweit seines Dealers Dönerbude gelegen war, saß Maria schon am Tisch und erwartete ihn. Sie begrüßte Simon Schweitzer mit zwei russischen Bruderküssen auf die Wange und verlor über sein Erscheinungsbild kein Wort, was ihn mehr kränkte, als er sich eingestand. Andererseits könnte man eine löbliche Bemerkung diesbezüglich auch dahingehend interpretieren, daß er sonst nicht so gut aussah in seinen altmodischen Kleidern. Wie dem auch sei, inzwischen schmerzten die Schuhe gar fürchterlich.
Das Café war wie immer gut besucht, und der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz in Öl blickte auf die Gästeschaft. Die Führung der Restauration oblag Großmutter, Mutter und Enkelin einer alteingesessenen Sachsenhäuser Gastronomendynastie, die sehr stolz auf ihr generationenübergreifendes Publikum waren. Maria von der Heide hatte partnerschaftlich dasselbe wie Herr Schweitzer bestellt. Dasselbe war in diesem Fall eine Käsekirschtorte und ein Cappuccino.
Direkt über Maria hingen einige
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