Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Katastrophen bildete, die um ihn herum passierten. Allerdings war nun seit kurzem eine neue Komponente hinzugekommen, die es zu berücksichtigen galt. Maria von der Heide war Künstlerin. Und die hatten, das hatte Herr Schweitzer an seiner Mutter zur Genüge beobachten können, einen etwas anderen Draht zur Realität. Gesunder Menschenverstand half da selten weiter. Vielleicht fühlte er sich ja gerade deswegen zu ihr hingezogen. Er sagte: „Ich auch. Sehr merkwürdig, die Sache mit den Schwarzbachs. Äußerst merkwürdig.“
Bertha schaute ihn skeptisch an. So komisch hatte sie Simon Schweitzer noch nie daherreden hören.
„Aber irgendwie bin ich auch froh“, sagte Maria leichthin. Bertha und Simon Schweitzer warteten auf eine Erklärung, die auch folgte: „Froh für Karin. Ich denke, wenn irgendwann Schmerz und Trauer nachlassen, ist das ja auch eine Chance für einen Neubeginn. Und Karin hat das verdient, finde ich. Einen Neuanfang.“
So konnte man es auch sehen. Aber Herr Schweitzer bezweifelte, daß Karin Schwarzbach einen Neuanfang zu schätzen wußte. Eher neigte er zu der Variante, daß Karin den Rest ihrer Tage mit Psychopharmaka vollgepumpt in der Psychiatrie verbringen würde. Aber das klang zu hoffnungslos. Davon konnte Marias euphorische Schaffensphase möglicherweise negativ beeinflußt werden. Und das galt es unter allen Umständen zu verhindern. „Das sehe ich genauso.“
„Wollt ihr noch was trinken?“ Bertha war jetzt restlos davon überzeugt, daß Simon Schweitzer vollkommen übergeschnappt war. Oder verliebt, was ja im weiteren Sinne auf dasselbe rauskommt.
„Ich gerne“, sprach Simon Schweitzer frohgemut.
„Aber nur noch einen“, belehrte ihn Maria von der Heide.
Man schwatzte noch eine halbe Stunde über dies und das und Traktor beweint Ernte. Dann war es Zeit zu gehen. Man stand schon vor der Tür, da lud Maria Simon Schweitzer für Samstag zu einem Abendessen zu sich nach Hause ein. Morgen könne sie leider nicht, da hätte sie schon was anderes vor.
Herr Schweitzer wollte schon sagen, daß ihn das unheimlich ehre und er sich mächtig auf ein Candlelightdinner mit ihr freue, da fiel ihm aber ein, daß Laura an diesem Tag ja Geburtstag hatte und er für die Verköstigung der Gästeschar verantwortlich zeichnete. Dementsprechend gequält hörte sich das auch an: „Ach. Schade. Ausgerechnet dann.“
„Dann vielleicht am Sonntag“, kam ihm Maria zu Hilfe.
„Oh gerne. Schön. Ich freue mich drauf.“
„Ich auch.“ Maria küßte ihn auf die Nase, drehte sich geschwind um und ging von dannen.
So ähnlich wie Simon Schweitzer hatte auch Obelix einst dreingeschaut, nachdem er von Falbala den ersten Kuß erhalten hatte.
Aber schon nach fünf Minuten hatte er sich wieder gefangen. Es war noch viel zu früh, nach Hause zu gehen. Dazu war er zu aufgewühlt. Erst der makabre Tod eines ehemaligen Genossen und dann die pure Lebenslust, verkörpert durch Maria. Da war an Schlaf noch nicht zu denken.
Im Frühzecher gab es einen Tisch, an dem herzlich und viel gelacht wurde. Auf dem Tisch standen zwei Schnaps- und zwei fast leere Biergläser auf Bierdeckeln. Auf zwei von den Bierdeckeln hatte jemand, wahrscheinlich der Wirt, ganz viele Striche und Kreuze notiert. Jedes dieser Zeichen stand für ein alkoholisches Getränk. Ging man davon aus, daß die zwei Personen an diesem Tisch ganz alleine all die Alkoholika verputzt hatten, so hätten sie aber ganz schön einen im Tee. Sie hatten.
Dies war der Status quo, als Herr Schweitzer eintrat.
„Simon, alter Haudegen. Komm her und setz dich“, krakelte Polizeiobermeister Frederik Funkal.
Der andere Polizist, Odilo Sanchez, wollte da nicht nachstehen: „Genau. Hock dich hin.“ Mit der Hand- klopfte er auf die Sitzfläche eines freien Stuhles.
Herrn Schweitzer blieb gar keine andere Wahl. Er setzte sich. René, in schwarzer Ledermontur, kam an den Tisch und brachte zwei neue Gedecke für die fröhlichen Zecher.
„Ein großes Wasser, erst mal“, bestellte Simon Schweitzer.
„Wie? Wasser? Bier. Bring dem Herrn ein Bier, René. Wasser, na so was“, verbesserte Frederik.
Trotzdem verständigten sich Simon Schweitzer und René nonverbal und mit sparsamer Gestik auf ein großes Wasser.
„Du Simon, paß mal auf“, sagte der Wortführer POM Funkal. Ein Schaumrest hing an seinem schwarzen Oberlippenbart. „Wußtest du schon ...“ Weiter kam er nicht. Er mußte losprusten. Zwar hielt er die Hand vor den Mund, trotzdem verteilten
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