Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
vertrinken.“
„Was denn sonst, altes Warzenschwein. Ich trink auf bessere Zeiten. Magst du auch noch einen Schluck Pennerglück, hä? Ist noch ein Tropfen für dich da.“ Die dicke Gertrud fummelte in ihren Plastiktaschen und brachte eine Literflasche ohne Etikett zum Vorschein.
„Nein, laß mal. Vielleicht nächstes Mal.“
Herr Schweitzer war schon einige Meter weiter, als ihm ein Gott vergelt’s hinterhergeschrien wurde. Er schwor sich, das nächste Mal einen anderen Heimweg zu nehmen.
In seinem Zimmer lag noch der Briefumschlag mit dem restlichen Geld für Karin auf der gotischen Stollentruhe, den sein Schwager ihm heute morgen ausgehändigt hatte.
Es war ein anderes Klingeln als gestern morgen, mehr so ein Dingdong. Herrn Schweitzer war es wohlbekannt. Er fand es überhaupt nicht gut, sich aus seiner embryonalen Kuschelstellung zu lösen, aber, was sein mußte, mußte sein. Spaß war definitiv was anderes. Mit zerzaustem Haar trabte er in den Flur und drückte den Türöffner. Kurz darauf kam ein Arbeiter in einem roten Blaumann angekeucht. Er trug einen spärlich verpackten Schaukelstuhl vor seinem Bauch.
„Guten Morgen. Wohin?“
„Guten Morgen. Wenn Sie bitte so nett sein würden ...“ Simon Schweitzer ging voraus in sein Zimmer.
Er gab dem Herrn ein Trinkgeld und ging dann Kaffee aufsetzen. Laura war wieder auf Arbeit. Zehn Uhr, das war halbwegs human. Er entfernte Preisschild und Verpackungsmaterial. Den Schaukelstuhl aus Peddigrohr stellte er zwischen Bett und den Damenschreibtisch aus Mahagoni, ein weiteres Erbstück seiner Mutter, so daß er links noch peripher ein paar Bankentürme und halbrechts den Frankfurter Dom im Blickfeld hatte. Das Himmelblau versprach einen weiteren traumhaften Tag.
Mit der Tasse Kaffee und einem Einkaufszettel machte es sich Herr Schweitzer in seinem neuen Sitzmöbel bequem. Mit der Hand strich er über die erotisch geschwungene, glattpolierte Armlehne. Als er saß, bemerkte er den Ritterstern auf der Schreibtischecke, der kraftlos die Blütenschäfte hängen ließ. Er rappelte sich wieder auf und versorgte seine gesamte Flora mit Wasser. Dann setzte er sich erneut und schaukelte probe. Ja, so ließ es sich leben. Die Einkaufsliste wurde ellenlang. Seine Strategie war, alles, was sich nicht auf dem Sachsenhäuser Wochenmarkt kaufen ließ, hibbdebach in der Kleinmarkthalle zu besorgen und bei der Gelegenheit in einem orientalischen Schnickschnackladen nach dem Geburtstagsgeschenk für Laura zu stöbern.
Aber gemach. Nach der Morgentoilette inklusive Ganzkörperdusche frühstückte er ausgiebig. Es kamen die Elfuhrnachrichten. Das Bundeskriminalamt gab bekannt, daß es sich bei der Pistole, vermutlich eine P 08 der Firma Mauser, Kaliber 9 mm, um dieselbe Waffe handelte, mit der vor einundzwanzig Jahren an der Startbahn West zwei Polizisten erschossen worden waren. Der Todeszeitpunkt Schwarzbachs ließ sich, wie gerade eben bekannt wurde, ziemlich genau auf die Nacht von Freitag auf Samstag bestimmen. Es waren drei Schüsse abgefeuert worden, von denen jeder für sich tödlich war. Man habe die Sonderkommission Entführung Schwarzbach aufgelöst und konzentriere sich nun auch auf das private Umfeld des Ermordeten. In diesem Zusammenhang suchte man weiterhin Zeugen, die den Stadtverordneten nach sechzehn Uhr vergangenen Freitag gesehen hatten und/oder Angaben über den in der Moselstraße abgestellten Geländewagen machen konnten. Abermals wurde das Kennzeichen durchgegeben.
Herr Schweitzer hatte das vage Gefühl, in den Nachrichten eine Ungereimtheit vernommen zu haben, wußte aber nicht welche. Mehr als ein Gefühl war es aber nicht. Er scheuchte den Gedanken beiseite und trank seinen Kaffee aus.
Auf dem freitäglichen Markt am Südbahnhof erstand Simon Schweitzer allerlei Gemüse, Kräuter, Käse und Putenbrustfilets. Mit mehreren grünen Plastiktüten bepackt machte er sich auf den Heimweg, der Gott sei Dank nur fünf Minuten betrug. Trotzdem war er klitschnaßgeschwitzt. Er verstaute die Sachen und machte sich sofort wieder auf die Socken.
Herr Schweitzer ging gerne in die Kleinmarkthalle. Dort herrschte eine mediterrane Atmosphäre. In mehreren Sprachen wurde durcheinandergeschrien, und die meisten Gerüche konnten von Herrn Schweitzer nicht eingeordnet werden. Hauptsächlich war er wegen des Lachses hier. Ein deliziöses Lachstartar sollte morgen den Mittelpunkt auf Lauras Geburtstagsbüfett bilden. Da stürzte sich Simon Schweitzer gerne in Unkosten,
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