Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
pissen, und als er wieder ins Bett kroch, registrierte er das Pfeifen der Morgenspatzen. Danach schlief er recht unruhig in diesem zwar bequemen aber doch noch ungewohnten Schlafgemach. Gen elf hatte er die Schnauze voll vom Dämmerschlaf und küßte Maria versuchsweise auf die nackte Schulter. Keine Reaktion. Herr Schweitzer wiederholte den Vorgang und erhielt als Erwiderung ein unwilliges Grunzen aus einer fernen Galaxie. Er gab es auf, erhob sich und zog den Kimono an. Leise schlich er in die Küche und setzte Kaffee auf, nachdem er sich mühsam mit der Logik der Kaffeemaschinenfunktionalität auseinandergesetzt hatte.
Auf einer Terracottaschale lagen verschiedene Früchte. Herr Schweitzer nahm sich einen Apfel und begab sich ins Wohnzimmer. Ein ultramarinblauer Himmel bestrahlte den Raum durch ein riesiges Dachfenster, das er gestern gar nicht bemerkt hatte, oder wenn, dann aus Gründen der absoluten Nebensächlichkeit schon wieder vergessen hatte. Er nippte am brütendheißen Kaffee, setzte sich aufs Sofa und war sich ziemlich sicher, in der besten aller Welten zu leben. Eine dreiviertel Stunde kontemplativer Ruhe war ins Land gegangen, dann stand auch Maria von der Heide auf.
„Guten Morgen, Simon.“
Dem Himmel sei Dank kein Kosewort, dachte Herr Schweitzer. Schlicht und ergreifend Simon. Kein Hasenknuddelchen, kein Mausespeck und erst recht kein Schnäuzelbärchen. Er war sehr erfreut. Simon bleibt also Simon, wie Persil für immer Persil bleibt. Er stand auf und bediente den leicht geöffneten Kußmund seiner Liebsten. „Guten Morgen, Maria. Gut geschlafen?“
„Göttlich. Und du?“
„Danke. Das nächste Mal werde ich bestimmt auch so lange schlafen wie du. Die Umgebung war noch etwas gewöhnungsbedürftig.“
Maria lachte herzerfrischend, und Simon Schweitzer dachte, daß ja alles wie am Schnürchen lief, daß es vor allen Dingen ein nächstes Mal geben würde.
Man hatte gefrühstückt, als Maria den Vorschlag unterbreitete, einen Spaziergang zu unternehmen, aber nur, falls Herr Schweitzer Lust dazu verspürte. Er verspürte, und man einigte sich aufs Königsbrünnchen als Ziel, wo schon Goethe Anno dazumal gelustwandelt hatte.
Der erste Teil des Weges, eine kleine Sackgasse, in der Autoverkehr noch gestattet war, entbehrte ein wenig an Romantik, da plattgefahrene, und damit ihrer Dreidimensionalität beraubte Froschkörper konturenreich per Reifen auf den Asphalt gedrückt waren. Die Hitzewelle der letzten Tage hatte sämtliche Flüssigkeiten aus den ledernen Kadavern gezogen. Dann tauchte man in den schattigen Mischwald ein. Das übermächtige Grün bemächtigte sich der Sinne, und Maria ergriff beherzt Herrn Schweitzers Hand.
Es war nicht sehr weit. Eine halbe Stunde später hatte man den Jacobiweiher umrundet und von einer Holzbrücke aus Fische und Federvieh bei ihrem Treiben beobachtet. Danach war man zu Frankfurts einziger natürlicher Quelle im Stadtwald geschlendert. Man unterhielt sich über dies und jenes und übte sich in Harmonie. Schließlich forderte Maria zur Rast auf einem seitlich bemoosten Stein auf, da sämtliche Bänke von Menschen belegt waren, die an diesem herrlichen Montag dieselbe Idee gehabt hatten. Das Königsbrünnchen, in seiner von Eisen und Schwefel goldbraun gefärbten Pracht plätscherte und müffelte wie seit Urzeiten vor sich hin. Zwei Radfahrer auf großer Reise, wie man an den ausgebeulten Satteltaschen unschwer erkennen konnte, füllten Plastikflaschen mit dem von der Wissenschaft bestätigten, gesund sein sollenden Naß der Quelle.
Das tiefschürfende Gespräch der beiden Liebenden hatte sich an dem Thema Kunst festgefressen, wobei Herr Schweitzer wegen nur geringer Ahnung lediglich durch geschickt eingeworfene Gemeinplätze zu glänzen wußte.
Eine Stunde später ließ ein vermeintlich fernes Grollen die Herrschaften in ihrem Geplauder innehalten. Auch war unmerklich ein leichter Nordwest aufgezogen. Gleichzeitig schauten Maria und Simon Schweitzer nach oben durch das Blattwerk der Wipfel. Das Ultra war dem einst ultramarinblauen Himmel verlustig gegangen, und auch das Blau war einer regnerischen Gräue gewichen. Es tröpfelte. Es regnete. Es goß in Strömen. Da half kein Wehklagen. Klitschnaß erreichten unsere Protagonisten Marias Heim auf dem Lerchesberg.
Nachdem man ausgiebig geduscht hatte, saß man auf dem Sofa und trank heißen Tee, serviert in einem tönernen chinesischen Teeservice. Zu den Nachrichten schaltete Maria den Fernseher ein. Der
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