Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Ganzes genommen in etwa das Gewicht einer Dampfwalze aufbieten konnte. Die Arschbacken quollen an der Barhockersitzfläche wie große schwere Wachstropfen herunter. Danach kam Knallhart-Peter, der sommers wie winters zu Hause und in freier Wildbahn lediglich mit einem T-Shirt bekleidet herumlief. Als wäre das nicht genug, schlief er, sofern kein Niederschlag fiel, auch noch auf dem Balkon seiner Wohnung in einem Hochhaus in der Mailänder Straße. Seltsamerweise hatte ihn neulich seine Frau verlassen. Außerdem war er Eintracht-Fan, und so trank er, um diese Pechsträhne zu verkraften. Heute hatte er schon viel getrunken. Die Schieflage war immens. Dann kamen Herbert und Else und Else. Die waren fast immer hier. Nur im August nicht. Da waren sie am Lago Maggiore. Campen. Immer. Herbert und Else trugen funktionale Sportkleidung, dazu passende weiße Tennissocken in Badelatschen. Herbert und Else redeten nie viel. Nicht umsonst war man schon seit vierzig Jahren verheiratet. Zwischen Herbert und Else saß Else auf einem Barhocker. Das wurde hier so geduldet. Else war ein Rauhhaardackel und wurde von Herbert vor langer Zeit der Einfachheit halber auf den Namen Else getauft. Das stellte kein Problem dar. Wenn Herbert zum Beispiel sagte: „Else, laß uns nach Hause gehen“, wurde das von beiden Elsen verstanden und ausgeführt. Daran schlossen sich noch drei malende Künstler an, die so schlecht waren, daß sie schon wieder Geld verdienten, ehe Herr Schweitzers Blick auf Frederik Funkal stieß. Daneben, ganz rechts also, war noch ein freier Barhocker. Simon Schweitzer setzte sich.
„Setz dich doch“, empfing ihn der Polizeiobermeister, der schon ganz schön einen sitzen hatte.
„Ich sitz doch schon“, erwiderte Herr Schweitzer.
„Natürlich. Ist ja auch frei, der Hocker.“ Die Anzahl der Striche auf Funkals Bierdeckel war stattlich.
Das hatte Simon Schweitzer auf einen Blick erkannt. Außerdem waren des Polizeiobermeisters Kommunikationsbeiträge bis dato doch recht albern gewesen. Dem Herrn Schweitzer selbst allerdings war es unklar, wie er ein wenig Niveau in die Chose hätte bringen können. Schließlich hatte er unlängst eine Liebschaft begonnen, und auch sonst schwirrten allerhand unausgegorene Gedankenfetzen in seinem Hirn herum. Auch war da ja noch Karin Schwarzbachs seltsamer Auftritt eben im Weinfaß aufzuarbeiten. Er hatte es als Sachsenhäuser kompetenteste Denkfabrik im Augenblick nicht leicht, das war mal klar. Zur Sicherheit bestellte er bei René, der nicht nur der hohen Luftfeuchtigkeit wegen heftig transpirierte, ein großes Bier.
Und als es dann kam, genoß er es wie selten einen Gerstensaft zuvor. Zum Glück war auch Funkal meditativ tätig, so konnte Herr Schweitzer ein wenig Ordnung in seine Gefühls- und Gedankenwelt bringen. Immerhin eine halbe Stunde lang, dann meldete sich der Polizist wieder zu Wort: „Scheißjob.“
Simon Schweitzer wußte so ad hoc nichts darauf zu erwidern. Von links hörte er: „Else, wir gehen.“ Daraufhin sprang der Rauhhaardackel vom Hocker und die Frau auch.
„Scheißjob?“
„Genau. Polizei ist ein Scheißjob. Weiß doch jeder.“
Die Gelegenheit war günstig. Herr Schweitzer fragte: „Warum habt ihr eigentlich den Hollerbusch verhaftet? Das ist doch vollkommen bescheuert.“
„Wieso ihr? Ich hab mal niemanden verhaftet. Die vom BKA stehen mal wieder auf der Leitung und schnallen gar nix.“ Bei den letzten Worten hatte sich Funkals Zeigefinger in Simon Schweitzers Oberarm gebohrt.
„Heißt das, du weißt, daß unser Pfarrer damit nichts zu tun hat?“
Frederik Funkal betrachtete nun eingehend den Herrn Schweitzer, als gelte es, ein Staatsgeheimnis preiszugeben, wobei allerdings der Empfänger der Botschaft noch gewissenhaft auf Staatstreue und Loyalität zu überprüfen sei. Gegen Simon Schweitzer lagen offenbar keine Bedenken vor, und der Polizist beantwortete die Frage: „Ja. Guntram Hollerbusch ist völlig unschuldig.“
„Aber warum wird er dann nicht wieder freigelassen?“
Das war eine gute Frage. Funkal versteifte sich wieder aufs Schweigen. Stumm orderte er ein frisches Bier. Herr Schweitzer zweifelte daran, ob es wirklich klug sei, seine Frage zu wiederholen. Auch spielte er mit dem Gedanken, René unauffällig zu bitten, dem Polizeiobermeister fürderhin nur noch alkoholfreies Bier zu servieren, ohne daß dieser davon etwas mitbekäme. Simon Schweitzers untrügliches Gefühl sagte ihm, daß hier noch mehr drin war, daß
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