Simulacron-Drei
hinunter und ließ es an den mir zugewiesenen Platz rollen. Als ich den Motor abgestellt hatte, wurde ich mir des Tumults vor dem Gebäude bewußt.
Ich schritt um die Ecke und duckte mich, als ein Stück Eisenrohr auf ein Parterrefenster zuflog. Aber es kam in einem Funkenschauer zum Stillstand und fiel am Rand des Abweisschirms zu Boden.
Die Anzahl der demonstrierenden Test-Interviewer hatte sich verdreifacht. Aber sie betrugen sich immer noch anständig. Schwierigkeiten machte vielmehr eine übelgelaunte Menge, die sich trotz der Anwesenheit einer Einsatzgruppe der Polizei versammelt hatte.
Auf der Umsteigeplattform schrie ein Mann mit rotem Gesicht in ein Megaphon: »Nieder mit der TEAG! Wir haben seit dreißig Jahren keine Depression mehr gehabt! Maschinelle Repräsentativbefragung wird den totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch herbeiführen!«
Ein Polizeisergeant kam auf mich zu.
»Sie sind Douglas Hall?«
Als ich nickte, fügte er hinzu: »Ich begleite Sie.«
Er schaltete seinen tragbaren Schirmgenerator ein, und ich spürte die prickelnde Umarmung des Abweisfeldes.
»Sie scheinen da aber gar nichts zu unternehmen«, beschwerte ich mich, als wir das Haus betraten.
»Sie werden ausreichend geschützt. Außerdem, wenn wir nicht zulassen, daß sie sich Luft machen, wird es noch schlimmer.«
Im Innern des Gebäudes war alles normal. Nichts wies darauf hin, daß keine dreißig Meter entfernt Anhänger der Test-Interviewer in ein Hornissennest stachen. Aber der Umfang an vordringlicher Arbeit verlangte genau diesen Grad von Gleichgültigkeit.
Ich ging sofort zur Personalabteilung. Unter ›L‹ im Karteischrank fand sich keine Akte über Morton Lynch.
Unter ›G‹ fand ich Gadsen, Joseph N. – Direktor des Sicherheitsdienstes. Die Bewerbung stammte vom 11. September 2029. Und aus der Akte ging hervor, daß er zwei Wochen später die Stelle als Leiter des Sicherheitsdienstes angetreten hatte.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Mr. Hall?«
Ich drehte mich um und sah die Registraturangestellte an.
»Sind die Unterlagen auf dem neuesten Stand?«
»Jawohl, Sir«, sagte sie stolz. »Ich arbeite sie jede Woche durch.«
»Haben wir irgendwelche Beschwerden über Joe Gadsen erhalten?«
»O nein, Sir. Nur Gesundheitsatteste. Er kommt mit allen Leuten aus. Nicht wahr, Mr. Gadsen?«
Sie lächelte an mir vorbei.
Ich fuhr herum. Der Kerl mit dem Wieselgesicht stand vor mir. Er grinste.
»Hat sich jemand über mich beklagt, Doug?«
Ich war einen Augenblick lang stumm. Endlich preßte ich mir ein schwaches, kleines ›Nein‹ ab.
»Prima«, erwiderte er, offensichtlich die ganze Angelegenheit als unwichtig betrachtend. »Übrigens bedankt sich Helen für die Forellen, die Sie vom See geschickt haben. Wenn Sie Freitag abend frei sind, kommen Sie doch herüber zum Essen. Außerdem will Junior mehr über Simulektronik hören. Seit dem letztenmal ist er ganz fasziniert davon.«
Joe Gadsen, Helen, Junior – die Worte klangen hohl in meinem Ohr, wie exotische Namen fremdartiger Eingeborener auf einer noch zu entdeckenden Welt am anderen Ende der Milchstraße. Und der Hinweis auf die Forellen! Ich hatte während des ganzen Monats am See nicht einen einzigen Fisch gefangen, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern.
Es gab noch einen letzten Test, wenn ich mich endgültig vergewissern wollte. Ich ließ Gadsen und die Registraturangestellte verblüfft zurück und stürmte den Korridor hinunter zu Chuck Whitneys Reich in der Funktionengeneratoren-Abteilung. Er steckte bis zu den Schultern in den Innereien seines Matrizenintegrators. Ich schlug ihm auf die Schulter, und er tauchte auf.
»Chu, ich …«
»Ja, Doug, was ist den?«
Sein freundliches sonnengebräuntes Gesicht wirkte zuerst amüsiert, dann unsicher, als ich zögerte. Er fuhr sich mit der Hand über das so flach anliegende Haar, daß es an den Bürstenhaarschnitt erinnerte, den es schon seit einer Generation nicht mehr gab.
Er fragte besorgt: »Hast du Schwierigkeiten?«
»Es handelt sich um – Morton Lynch«, sagte ich zögernd. »Hast du schon einmal von ihm gehört?«
»Von wem?«
»Lynch«, wiederholte ich, plötzlich mutlos geworden. »Morton – den Sicherheits …, oh, schon gut. Vergiß es!«
Einen Augenblick später betrat ich mein Vorzimmer und wurde mit einem fröhlichen ›Guten Morgen, Mr. Hall‹ begrüßt.
Ich zuckte zusammen, als ich die Sekretärin sah. Miss Boykins war abgelöst worden. An ihrem Platz saß Dorothy Ford, blond
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