Simulacron-Drei
Reinheit blendete sogar meine elektrotelepathische Würdigung ihrer Eleganz.
Vor einem dunstigen Hintergrund weißen Sandes und kriechender Meeresgeschöpfe sandten sie glitzernde Strahlen aus, um düstere Tiefen zu erleuchten. Dann öffnete sich, gleich dem gähnenden Maul eines gewaltigen Seeungeheuers ein Loch in der schwarzen Ferne. Und in seinen Tiefen funkelte das herrlichste Juwel.
Rings um mich konnte ich, als befände ich mich gar nicht in einem Psychorama, die Nässe des Wassers, die Einsamkeit trüber, dunkler Tiefen, die entsetzliche Bedrückung der Verzweiflung und des hydrostatischen Drucks spüren.
Dann kam der gewaltsame, quälende Übergang – von der Nässe zu blasenwerfender Trockenheit, von der erstickenden Einsamkeit unergründlicher Tiefen zur vernichtenden Dürre einer grenzenlosen Wüstenei.
Als einziges hatte das unvergleichliche Juwel die Veränderung überstanden, aber jetzt erlitt es auch eine Metamorphose – zu einer zarten, vielblütigen, blutroten Blume mit wunderbarem Duft.
Rojastas Projektion wirkte so hypnotisierend, daß ich wehrlos dem Geist der Lesung anheimfiel. Jetzt konnte ich auch das Zitat erkennen:
›Wie viele Juwelen birgt das dunkle Meer
wie viele Blumen gibt die Wüste nicht mehr her.‹
Grays ›Elegie‹ natürlich.
Jetzt starrten wir auf die chaotische Vegetation zu beiden Seiten eines Marskanals hinunter. Das Wasser brodelte, aufgepeitscht von Tausenden von …
Abrupt endete die Vorstellung, als die Lichter im Saal aufflammten. Ein vierseitiger Bildschirm sank herab, Rojasta einschließend, und auf allen vier Seiten zeigte sich, was vor der TEAG geschah.
Die Interviewer wichen vor dem lähmenden Feuer einer ganzen Batterie schwerer Schock-Geschütze zurück, die man auf das Dach des Gebäudes gebracht hatte.
Bundestruppen waren eingetroffen. Sie schwärmten auf den Dächern aus, wurden von Hunderten von Armeefahrzeugen hereingebracht.
Der VTI hatte verloren.
Der ›Steuermann‹ hatte verloren.
Der Höheren Wirklichkeit war es nicht gelungen, Fullers Simulator innerhalb der Grenzen logisch begründbarer Aktionen zu zerstören. Der ›Steuermann‹ konnte sein Meinungsforschungssystem, das Institut unserer Test-Interviewer, nicht halten.
Ich wußte, was das bedeutete. Die ganze Welt mußte ausgelöscht werden, damit ›Man‹ eine neue simulektronische Anlage zur Verhaltensvorhersage programmieren konnte.
Ich nahm die Kappe von meinem Kopf und fragte mich, wann es soweit sein würde. Würde die umfassende Deprogrammierung sofort einsetzen? Oder mußte der ›Steuermann‹ zuerst mit einer Beratergruppe, mit einem Direktorium Rücksprache nehmen?
Wenigstens brauchte ich mir keine Sorgen mehr darüber zu machen, daß ich als einziger herausgenommen würde; wenn alle Schaltkreise ausradiert wurden, gehe ich eben mit allen anderen zugrunde.
Und gerade als ich mich überzeugt hatte, daß ich keine Sonderbehandlung mehr zu gewärtigen hatte – da geschah es.
Die sichtbaren Einzelheiten des Psychoramas verschwammen, die Sitzreihen drehten sich um mich. Zusammengekrümmt durch die zerschmetternde Wirkung einer fehlerhaften Empathieverbindung, taumelte ich ins Foyer hinaus.
Das Meer, das in meinen Ohren brauste, wurde zu grollendem Donner, der langsam leiser wurde und – in polterndem Gelächter zu enden schien. Ich preßte mich an die Wand, weil ich spürte, daß das Wesen der Höheren Wirklichkeit aus meinem Hirn herausholte, was darin war.
Und das gelächtergleiche Geräusch der resonanzlosen Verbindung wurde zum hämmernden Rhythmus eines Gongs in meinem Schädel – höhnend, sadistisch.
Dann war es vorbei und ich konnte wieder klar denken; ich taumelte hinaus, wo in diesem Augenblick ein Flugwagen, bemalt mit Halbmond und Stern, landete.
»Da ist er!« schrie der uniformierte Pilot.
Ein blutroter Strahl – tödlich, weil bleistiftdünn – züngelte gegen die Hauswand neben meiner Schulter, den Beton zerkrümelnd.
Ich fuhr herum und stürzte in das Foyer zurück.
»Stehenbleiben, Hall!« schrie jemand. »Sie sind verhaftet wegen Mordes an Fuller!«
War das von Siskin inspiriert? Hatte er sich entschlossen, mich endgültig beiseite zu räumen – oder war dies das Ergebnis der Programmierung durch den ›Steuermann‹? Beschränkte er sich nur noch auf konventionelle, vernünftige Mittel zu meiner Beseitigung, trotz der Tatsache, daß er in Kürze seine ganze simulektronische Anlage deprogrammieren würde?
Zwei rote Strahlen
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