Sind Sie hochsensibel?

warum Ärzte vielleicht Ihr Serotonin vermehren wollen – um Ihnen zu helfen, dominanter und erfolgreicher in einer dominanzorientierten Gesellschaft zu werden.
    Es missfällt mir wirklich, zaghafte Affen mit hochsensiblen Menschen gleichzusetzen, denn HSM zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie mehr von genau dem besitzen, was den Menschen so menschlich macht (eine vorausschauende Gabe, Intuition, Vorstellungskraft). Wenn HSM jedoch dazu neigen Serotonin abzubauen, muss ich mir die Frage stellen, was die Ursache dafür ist. Die scheinbare Schlussfolgerung ist, dass wir weniger dominant sind, weil wir möglicherweise wenig Serotonin besitzen. Aber vielleicht ist es auch anders herum. Vielleicht ist ja gerade dieses Empfinden, benachteiligt zu sein und in der Hierarchie weit unten zu stehen, der Grund für ein geringes Vorkommen an Serotonin. Könnte der niedrige Serotoninspiegel, die Depression und der ganze Rest auf den Stress zurückzuführen sein, der verursacht wird, weil HSM in dieser Kultur
niedergemacht
werden?
    Bedenken Sie, wie der Serotoninspiegel von schüchternen, empfindsamen chinesischen Kindern ausfällt, die (gemäß der Untersuchung aus Kapitel 1), die bewunderten Führer in ihren Klassen sind. Stellen Sie sich die Serotoninspiegel der entsprechenden Kinder in Kanada vor, die sich am Ende der Klassenhierarchie befinden. Möglicherweise brauchen wir kein Fluctin®, sondern Respekt.
    Sollten Sie Ihr Persönlichkeitsmerkmal mithilfe von SSRI verändern?
    Ich wünschte, ich hätte genauere Daten über die Auswirkungen dieser Medikamente auf nichtdepressive HSM. Aber andererseitswürden diese Ergebnisse nicht viel darüber aussagen, wie sich die Konsequenzen vielleicht im ganz konkreten Fall bei Ihnen darstellen würden. Es ist wohlbekannt, dass ein Antidepressivum bei einer Person die Depression beendet und bei jemand anderem gar nichts ausrichtet. Das wird sich genauso verhalten bei Medikamenten, die die Persönlichkeit beeinflussen. Wie im 2. Kapitel erklärt, kann man zweifellos auf ganz unterschiedliche Arten hochsensibel sein. Das ist ein Grund dafür, vorsichtig zu sein mit einfachen Erklärungen, die gerade im Trend liegen – wie Serotonin –, wenn Sie über Ihren Wesenszug nachdenken.
    Für die Entscheidungsfindung würde ich Folgendes zur Betrachtung vorschlagen. Zunächst einmal denken Sie darüber nach, wie unzufrieden Sie mit sich selbst sind? Zweitens: sind Sie gewillt, ein Medikament für den Rest Ihres Lebens einzunehmen, um Veränderungen zu erzielen, die Sie sich wünschen? Diese Entscheidung erfordert ein genaues Abwägen der potenziellen Nebenwirkungen und verzögerten Langzeiteffekte, die bisher noch nicht genau bekannt sind.
    Die wesentliche Nebenwirkung besteht mindestens zu 10 bis 15 Prozent darin, dass sich diese Medikamente ein wenig wie Stimulanzien ähnlich den Amphetaminen verhalten. 120 Einige Personen, die Fluctin® einnehmen, beklagen sich über Schlaflosigkeit, intensive Träume, unkontrollierbare Ruhelosigkeit, Zittern, Übelkeit oder Durchfall, Gewichtsverlust, Kopfschmerzen, Ängstlichkeit, Schweißausbrüche 121 und Zähneknirschen im Schlaf (in einigen Fällen wurde Fluctin® sogar mit Gewalt und Selbstmord in Verbindung gebracht). 122 Eine Lösung besteht dann in einem Mittel, das die Angst bekämpft, und das zur Nacht eingenommen wird, um der inneren Unruhe entgegenzuwirken. Ich selbst würde mich jedoch etwas verulkt fühlen, wenn ich feststelle, dass ich jetzt zwei starke Medikamente einnehmen müsste. Und das zweite führt dann zur Gewöhnung.
    Viele der HSM, die ich kenne, die ähnliche Medikamente eingenommen haben, haben später damit aufgehört, weil dieEinnahme keine große Hilfe darstellte oder weil ihnen die stimulierenden Nebenwirkungen nicht gefielen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass das Aktivierungssystem, welches wir im 2. Kapitel besprochen haben, so stark stimuliert wird, dass es dem Achtsamkeitssystem entgegenwirkt. Deshalb könnten diese Medikamente besser funktionieren, wenn Ihr
Problem
ein ruhiges Aktivierungssystem ist. Bei HSM, bei denen beide Systeme sehr stark ausprägt sind, könnte die Folge eher ein Zustand von innerer Unruhe sein.
    Diese Medikamente beeinflussen unter anderem auch unser sexuelles Empfinden, besonders das von Männern. Eine Untersuchung hat ergeben, dass sich