Sind wir nun gluecklich
wurde so viel berichtet, ein Hinweis auf die große mediale Aufmerksamkeit für den Nachbarstaat.
Die Bandbreite der Meldungen war ebenfalls groß. Das Spektrum reichte von den Nachrichten aus Wirtschaft und Politik bis hin zur neuen Fußpflegeindustrie in Henan oder der Nachricht, dass ein Schüler wegen seiner langen Haare von einer Schule in Guangdong verwiesen wurde. Es blitzten zwar hin und wieder auch Missverständnisse und Vorurteile in den Artikeln auf, aber im Großen und Ganzen waren sie objektiv.
Natürlich galt das Augenmerk vor allem der chinesischen Wirtschaft, entsprechend waren die Beiträge dazu überproportional hoch. Das reflektiert nur das besondere Interesse Japans an diesem Thema.
Nach dieser intensiven Lektüre, die ich über einen längeren Zeitraum hinweg pflegte, fragte ich mich schließlich: Und China? Wie steht es bei uns um Nachrichten aus Japan?
Es ist bald hundert Jahre her, dass ein chinesischer Gelehrter provozierend fragte: »Die Japaner haben uns auf den Operationstisch gelegt und gründlich mit dem Seziermesser studiert. Und wir?« Nicht lange danach kamen die Japaner, die uns so gut kannten und verstanden, sind mit ihren Soldaten in unser Land eingedrungen und haben uns eine Zeit großen Leidens beschert.
Es ist so gut wie undenkbar, dass es heute noch einmal dazu kommen könnte. Aber es ist immer gefährlich, wenn man zu wenig über die Gegenseite weiß und ihr Denken nicht versteht. Dieser Mangel kann sich in mancher Hinsicht nachteilig auswirken.
Japan ist geografisch und kulturell gesehen unser Nachbar und auch wirtschaftlich, selbst wenn wir das Land inzwischen bezüglich des Bruttoinlandsprodukts überholt haben, immer noch sehr bedeutend. Da es nun einmal nicht wahrscheinlich ist, dass einer aus der Nachbarschaft des anderen wegziehen wird, bleibt nur, dass wir uns austauschen, miteinander auskommen und dem anderen mit Nachsicht begegnen.
Unser Verhältnis wird zum Teil von Zorn und Hass bestimmt, das ist auch nachvollziehbar, aber wir dürfen uns nicht die Fähigkeit zur Beobachtung und zum Verständnis des anderen rauben lassen. China und Japan standen sich einst als Feinde gegenüber, später, in den achtziger Jahren zum Beispiel, verbrachten sie angenehme Flitterwochen miteinander. Mit beidem ist es vorbei, wir sind heute weder Feinde noch Geliebte. Jetzt heißt es schlicht, die Beziehung zu normalisieren und Konflikte so zu lösen, dass die Beziehung ungehindert fortgesetzt werden kann. Um das zu erreichen, bedarf es nicht allein der beiderseitigen Vernunft. Die Voraussetzung dafür ist auch, dass Japan eines Tages zu einer aufrichtigen Auseinandersetzung mit seiner Geschichte bereit ist. Erst dann werden Japan und China mit leichtem Gepäck gemeinsam in die Zukunft reisen.
25 Beide sind Provinzen im Nordosten Chinas, der im Zweiten Weltkrieg von den Japanern besetzten Mandschurei.
26 Wörtlich »Schrein des friedlichen Landes«, kontrovers diskutierte religiöse Stätte der Shinto-Religion im Tokioter Stadtbezirk Chiyoda, in dem für Japan gefallene Soldaten verehrt werden.
27 Die drei Schriftzeichen von »Abiko«, auf Chinesisch »Wosunzi« gelesen, heißen wörtlich »unsere Nachfahren«.
Kapitel 11 – Amerika – Land der Schönheit? 28
Ende 1995 bereiste ich zum ersten Mal die Vereinigten Staaten. Meine Rechercheroute führte von Westen nach Osten, von Los Angeles nach New York. Es war ein erster, flüchtiger Eindruck von Amerika.
Damals war bei uns im Fernsehen gerade die Sendung »Ein Pekinger in New York« gelaufen, daher gingen mir bei meiner Ankunft zwei Zeilen daraus durch den Kopf: »Wenn du ihn liebst, dann schick ihn nach Amerika, denn dort ist das Paradies; wenn du ihn hasst, dann schick ihn nach Amerika, denn dort ist die Hölle.«
Von China aus betrachtet, glichen die USA damals eher der Hölle, wir hatten keinen vorurteilsfreien Blick auf das Land. Ich denke aber, man könnte die paradiesische Seite durchaus höher bewerten … Daher will mir auch immer, wenn ich an diese Reise denke, die Stimme des Popsängers Liu Huan nicht aus dem Kopf gehen, wie er diese Zeilen von Gao Kang singt.
In China war gerade die Zeit nach Deng Xiaopings »Reise nach Süden« und einer neuerlichen Phase von Wirtschaftsreformen angebrochen. Dennoch war Chinas Wirtschaftsniveau noch weit von dem der USA entfernt. Überall auf den Straßen der USA sah man Autotypen und Markenprodukte, die man in China nicht kannte. Ich weiß noch genau, wie ein Farbiger, der
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