Sind wir nun gluecklich
Beziehungen mit anderen Staaten, und China sieht sich selbst zunehmend mit kritischen Kommentaren und Demonstranten konfrontiert.
In der Anfangsphase durfte man nicht von »Konfrontation« sprechen, es war stattdessen von »peinlichen und beunruhigenden Situationen« die Rede. Der früheste Bericht, an den ich mich in diesem Zusammenhang erinnern kann, betraf einen Besuch des Staatspräsidenten Jiang Zemin in den USA. Er hielt einen Vortrag an einer Universität, und vor der Tür hatten Demonstranten zu einer Protestaktion aufgerufen. Die Veranstaltung wurde davon unberührt fortgesetzt. Diese kleine Episode verdeutlichte den anwesenden chinesischen Journalisten, dass Situationen, die wir bisher nur dem Namen nach kannten, uns inzwischen auch selbst betrafen.
Im Jahr 2008 begleitete ich einmal als Reporter einen Staatsbesuch, zu dem auch ein Vortrag an einer bekannten Universität der Hauptstadt des Landes gehörte.
Der Vortrag war für einen Nachmittag angesetzt, und ich fand mich bereits frühzeitig mittags vor Ort ein. Eine gut vorbereitete Gruppe von Demonstranten war aber schon eher da. Bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass sie aus mehreren Gruppierungen bestand: Es gab die Demonstranten für ein »Freies Tibet«, Anhänger der »Falun Gong« und weitere. Der Rest waren Schaulustige. Es war ein ziemlich großes Aufgebot. Die Polizei hatte jedoch bereits einen Schutzring zwischen dem Auditorium und den Demonstranten errichtet, der die Gruppen auf etwa 50 Meter Distanz hielt. Als ich ankam, war die Frequenz der Protestrufe noch relativ niedrig, und es hatten sich noch nicht viele Schaulustige eingefunden.
Interessanterweise kam wenig später auch eine Gruppe von Gegendemonstranten dazu, und es tauchten immer mehr rote chinesische Flaggen auf. Obwohl es ein paar kleinere Zusammenstöße gab, gingen beide Seiten im Großen und Ganzen friedlich miteinander um, jede der unterschiedlichen Parolen, die gerufen, und die Transparente, die geschwenkt wurden, standen für eine eigene Forderung. Das war freie Meinungsäußerung. Ein Land zu beschimpfen ist eine Freiheit, es zu lieben auch.
Eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung schwoll der Lärm der Demonstranten an, und den zum Vortrag erscheinenden Zuhörern blieb nichts anderes übrig, als durch die Gasse, die eigens für sie freigemacht wurde, das Auditorium zu betreten und sich unterwegs von den Rufen der Demonstranten beschallen zu lassen. Die meisten schienen daran gewöhnt. Viele schenkten dem Menschenauflauf keine große Beachtung und gingen mit ihren Begleitern plaudernd in die Halle. Das Publikum des Vortrags bestand aus den Professoren und Studenten der Hochschule sowie Diplomaten und bekannten Persönlichkeiten aus China und dem betreffenden Land.
Je näher der Vortrag rückte, umso heftiger buhlten die Demonstranten um Aufmerksamkeit. Die Gruppe, die die chinesische Flagge schwang, legte sich zunehmend ins Zeug und übertönte die anderen. Ihre Einigkeit verschaffte ihr einen Vorteil, denn auf der anderen Seite wetteiferten unterschiedliche Interessen miteinander, die nicht zu einer gemeinsamen Stimme fanden.
Ich würde sagen, dass die Situation längst nicht mehr so unangenehm und peinlich wirkte wie noch wenige Jahre zuvor, ich sah jetzt andere Aspekte. Ohne diejenigen, die China bloßstellten, hätte man auch nicht diejenigen zu Gesicht bekommen, die es verteidigten. Ohne die vielen Transparente unterschiedlicher Couleur wären auch nicht die vielen roten Flaggen mit den fünf Sternen aufgetaucht. Und wer so etwas noch nie mit eigenen Augen gesehen hat, kann auch schlecht das gute Gefühl haben, dass das alles halb so wild ist! Früher reagierte man allergisch auf diese unvermeidlichen Demonstrationen, doch wenn man stattdessen hingeht und einfach selbstbewusst dagegenhält, dann verlieren sie an Kraft. Ich denke, wer nicht einfach nur an sich denkt, sondern auch an die Medien, sein Land und sein Volk, der sollte es genauso machen. Das heißt über sich hinauswachsen, das bedeutet Reife. Ein Kind möchte immer nur übertrieben gelobt werden, aber ein erwachsener Mensch sollte sich nicht nur Komplimente gefallen lassen, sondern auch bei Kritik gelassen bleiben und am besten einfach über alles lachen können.
Schade war nur, dass damals die Szene dem Staat nicht gut genug aussah oder wir einfach noch nicht reif genug waren. Die Fernsehteams vor der Halle durften hinterher keine Bilder davon ausstrahlen. Immerhin ging das chinesische
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