Sind wir nun gluecklich
zwischen China und Frankreich mit einem »Frankreich-China-Jahr« gefeiert wurden. Kein Wunder, dass die Wunden, die China bei der missglückten Fackelübergabe in Paris zugefügt wurden, immer noch besonders tief sitzen.
Kurz darauf nahm die ganze Angelegenheit eine überraschende Wendung. Auf meinem Handy gingen permanent Kurznachrichten mit folgendem Inhalt ein: »Der Inhaber der Supermarktkette Carrefour unterstützt die tibetische Unabhängigkeitsbewegung und subventioniert sie. Wir rufen zum Boykott von Carrefour auf!«
Kaum war die Nachricht im Umlauf, ging sie durch das Internet, und die Parole »Boykottiert Carrefour« wurde schnell zu einer Bewegung, die sich von Peking aus über das ganze Land ausbreitete.
Damals verurteilten wir zwar in unserem neuen Programm »Nachrichten 1+1« täglich heftig und scharfzüngig die im Ausland betriebene Verquickung des Vorfalls in Lhasa mit der Olympiade in Peking, aber was diesen plötzlichen Aufruf zum Boykott von Carrefour betraf, war ich persönlich anderer Meinung. Ich verfasste also einen Kommentar, den ich auf der Sportseite der Suchmaschine Sohu veröffentlichte. Darin ging es weniger darum, ob man nun Carrefour boykottieren sollte oder nicht, vielmehr wollte ich einfach nur in wenigen Sätzen meine Sicht der Dinge darlegen. Hier möchte ich besagten Kommentar noch einmal in seiner ursprünglichen Fassung zitieren, ich habe kein Wort verändert:
»In den letzten Tagen haben eine Menge Leute eine Kurznachricht erhalten. Aufgrund der negativen Haltung, die in Paris bei der Übergabe der olympischen Fackel zum Ausdruck kam, und der Unterstützung der Carrefour-Kette für die ›Dalai-Lama-Clique‹ werden alle aufgerufen, am 1. Mai die Carrefour-Supermärkte zu boykottieren, dort auf keinen Fall einzukaufen, um zu zeigen, dass die Chinesen einig und stark sind.
Am 1. Mai werde ich bestimmt nicht bei Carrefour einkaufen gehen, das hat aber nichts mit dem Boykottaufruf zu tun. Ich werde in Sanya auf der Insel Hainan bei den Vorbereitungen für die Ankunft des Olympischen Feuers dabei sein. Bei Carrefour einzukaufen oder nicht ist jedermanns eigene Sache, aber selbst wenn zahlreiche Leute wegen des Boykotts nicht zu Carrefour gehen, werden die Läden der Kette an diesem Tag dennoch mit Sicherheit voll sein. Ganz einfach, weil nicht jeder seinen persönlichen Tagesablauf aufgrund politischer Motive ändern will. Ganz abgesehen davon macht es wenig Sinn, sich selbst zu bestrafen, um anderen ihre Fehler vorzuführen, dadurch triumphiert der andere doch umso mehr. Noch dazu sind die meisten der Angestellten in den Carrefour-Supermärkten Chinesen, führt das nicht nur zu internem Zwist unter Chinesen? Wenn wir uns so verhalten, heißt das dann nicht außerdem, wir stellen uns auf die gleiche Stufe wie diejenigen, die wir verabscheuen?
Natürlich haben sich viele Europäer während des Staffellaufs der Fackel nicht gerade freundlich und sogar ziemlich danebenbenommen. Aber gleichzeitig war ich zutiefst gerührt von den Versuchen zahlreicher Auslandschinesen vor Ort, von sich aus schützend einzugreifen. Ich an ihrer Stelle würde es als ungerecht empfinden. Es gibt etliche Personen, Städte und Länder, die ihre Sache hätten besser machen können, dafür Sorge hätten tragen können, den Staffellauf sicherer, reibungsloser und ungestörter ablaufen zu lassen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Was sollen wir von einem Pariser Bürgermeister halten, der die olympische Fackel mit einem Protestbanner in der Hand begrüßt und hinterher behauptet, dass er sein Möglichstes getan hat?
Aber die olympische Fackel gehört nicht Peking, sie gehört der ganzen Welt und der ganzen Menschheit. Wer Unruhe stiftet, der stiftet in der ganzen Welt Unruhe, von daher können wir vollkommen ruhig und gelassen bleiben. Wenn sich jemand in meinem Umfeld darüber echauffiert, dann rate ich ihm: ›Sobald du dich aufregst, haben diese Leute ihr Ziel erreicht. Wenn du dich nicht aufregst und zusiehst, dass du selbst weiterhin deine Sache gut machst und dich anstecken lässt vom Enthusiasmus für den olympischen Fackellauf, dann werden die Unruhestifter in unserer Erinnerung als alberne kleine Clowns zurückbleiben. Also bedienen wir uns unserer Gelassenheit und Größe, damit sie einen angemessenen Platz in der Geschichte bekommen.‹
Wenn wir unbehelligt von Stürmen und Unruhen weiterhin lächelnd den Lauf des olympischen Feuers genießen, die Ehre und den Traum von den Olympischen
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