Sind wir nun gluecklich
Boykottaufrufe kommen einem nun lächerlich vor und sind längst vergessen. Jetzt ist der Moment, in dem wir uns fragen können: Die Welt hat viel erreicht – und wir, was haben wir erreicht?
Die erste Goldmedaille
Mit 51 Goldmedaillen wurde China Nummer eins in der Gesamtwertung. 51 Goldmedaillen, das ist in der Geschichte der Olympischen Spiele seit 1908, sieht man einmal von Moskau und Los Angeles ab, die jeweils vom anderen politischen Lager boykottiert wurden, die größte Zahl, die jemals von einem Ausrichter der Spiele erzielt wurde. Damit wurde Geschichte geschrieben.
Interessanterweise ist wenig von einer Arroganz aufgrund dieser » Nummer eins« zu spüren, die Führung des Sportministeriums sagte dazu: »Wir haben zwar die meisten Goldmedaillen errungen, deshalb sind wir aber noch lange keine große Sportnation.« Staatspräsident Wen Jiabao sagte zu der US-amerikanischen Politikerin Elaine Chao: »Ihr seid immer noch auf Platz eins.« Dieses typisch chinesische Understatement mag traditionell dem zweitgeborenen Sohn zukommen, zum Erstgeborenen will es aber nicht passen. Ein tiefes Loch graben und dort sämtliche Schätze verbergen, um sich nicht König nennen zu müssen, das versteht kein Mensch, das ist ärgerlich.
Wenn eine Nation, die 51 Goldmedaillen und insgesamt fast hundert Medaillen gewonnen und zwanzig Rekorde aufgestellt hat und rundum eine glänzende Figur gemacht hat, keine große Sportnation zu nennen ist, was dann?
Deshalb ist falsche Bescheidenheit hier fehl am Platz. Was eine große Sportnation ist, darüber lässt sich streiten, aber stark im Erkämpfen von Gold- und Silbermedaillen sind wir ganz ohne jeden Zweifel. Betrachtet man die Olympiade als Klassenzimmer, dann sind wir Klassenbester geworden, unangefochtener Primus. Doch was die Qualität des Unterrichts betrifft, da brauchen wir wohl noch ein bisschen Zeit.
Hundert Medaillen und davon die überwiegende Zahl in Gold, auch das war im Medaillenspiegel der ersten zehn Nationen einzigartig, messen lässt sich das vielleicht mit der sagenhaften Schnelligkeit, die die Läufer Jamaikas aufzubieten haben. Das soll heißen: Mit unserer Goldmedaillenstrategie ist es uns gelungen, uns an die goldene Spitze der Pyramide der Nationen zu setzen, dennoch fehlt es uns am Fundament.
Unter den zahlreichen Goldmedaillen haben wir keine einzige für eine Mannschaftssportart im eigentlichen Sinne gewonnen. Wir wurden Champion jeweils im Männer- und Frauenturnen und zweimal jeweils im Männer- und Frauentischtennis. Genau genommen sind das keine Disziplinen, in denen der Mannschaftsgeist zählt, es geht immer noch darum, dass der individuell Stärkste die Medaille holt. Der größte Erfolg in einer Mannschafts-Gruppensportart war die Silbermedaille im Frauenhockey, dazu kam Bronze im Frauenvolleyball. Begeisterung ernteten aber vor allem die Bronzemedaille für das Frauensynchronschwimmen und die Silbermedaille für das Team Rhythmische Sportgymnastik der Frauen. Wir haben uns also im internationalen Vergleich beim Sport noch immer nicht von dem Stigma »Allein ein Drache, im Team ein Wurm« verabschiedet, besonders lächerlich stehen wir im Männerfußball da. Darin besteht unser großes Manko im Vergleich zu den USA, Brasilien oder Russland, und mit Argentinien können wir uns auf diesem Gebiet überhaupt nicht messen.
An der Spitze des Medaillenspiegels zu stehen ist daher im Grunde nur ein reines Zahlenspiel. Wir freuen uns darüber, aber ein Grund zur Arroganz ist es nicht. Begeisternd ist in der Tat der Durchbruch, den die Goldmedaillen in den Disziplinen Bogenschießen, Rudern, Boxen und Windsurfen bedeuten, in denen wir nie zuvor eine Goldmedaille erzielt haben. Das gibt die Richtung für die Zukunft vor. Beeindruckend waren auch die Goldmedaille im Fechten der Männer und Silber im Schwimmen der Männer.
Ein Punkt, den man auch nicht vergessen sollte, ist, dass von den Goldmedaillen 24 von Männern, aber 27 von Frauen errungen wurden. Damit haben die Frauen erreicht, was man zuvor so nicht kannte. Männer und Frauen sind, was olympisches Gold betrifft, in etwa auf Gleichstand.
Das Beste an der beachtlichen Zahl von 51 Goldmedaillen, das möchte ich noch sagen, ist: Wenn man einmal an der Spitze steht, muss man sich nicht daran klammern, kann loslassen und viel entspannter selbstbewusst in die Zukunft schauen.
»National-« und »Liebeskult«
Gewinnt man eine Goldmedaille, dann wird die Nationalflagge gehisst, und es erklingt die
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