Sind wir nun gluecklich
Spielen gesetzt, vom Tausend-Tage-Countdown bis zu offiziellen Slogans, von der Vorstellung des Maskottchens über Liedersammlungen bis zur Auswahl der Freiwilligen für die Paralympics … derlei Vorbereitungen duldeten keinen Aufschub. Und unterdessen gingen die sieben Jahre, die uns zuvor noch so lang vorgekommen waren, vorüber, ehe man sich’s versah. Wo gestern noch überall Baustellen waren, die den Verkehr behinderten, hingen über Nacht Laternen und prangten goldene Verzierungen: Die Olympischen Spiele von Peking standen vor der Tür.
Am 6. August 2008 begann die letzte Staffel des olympischen Fackellaufs in Peking. Es war ein klarer Sommermorgen, und ich hatte die Ehre, selbst der achte Läufer der Staffel zu sein, lief das kurze Stück vom Wumen zum Tian’anmen und übergab die Fackel der Nummer neun – Yao Ming.
Das waren heilige 50 Meter für mich, auch wenn ich tags zuvor bei der Pressekonferenz gescherzt hatte: Ich werde eine Leiter brauchen, um die Fackel zu Yao Ming hochreichen zu können. Doch Spaß beiseite, ich war innerlich viel zu nervös, um die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Das lag weder an meiner Freude noch an meiner Anspannung. China 2008 war alles andere als einfach, es war eine Zeit, in der auch ein lockerer Staffellauf zu einer heiklen Angelegenheit werden musste.
Es war nicht einmal das erste Mal, dass ich als olympischer Staffelläufer eingesetzt wurde. Das Mal davor war aber für mich um einiges entspannter gewesen.
Vor den Olympischen Spielen in Athen 2004 wurde das Olympische Feuer erstmals mit der Staffel an Peking übergeben, und ich hatte das Glück, zum elften Staffelläufer auf chinesischem Terrain bestimmt zu werden. Ich erinnere mich an den sonnigen Tag und die große Hitze. Als der Wagen mit den Läufern alle 200 Meter einen von uns absetzte, wurde ich vor dem Himmelstempel platziert. Zu beiden Seiten der Straße standen dichte Menschentrauben, darunter viele Kinder. Ich ging zu ihnen hin und ließ sie den Fackelstab befühlen, der noch nicht entzündet war. Die Kinder freuten sich so sehr, dass ich fand, meine Mission sei schon erfüllt.
Denn mitten bei diesem Fackellauf damals wurde mir plötzlich klar, was die Aufgabe eines Fackelläufers war. Du selbst vermagst nicht viel, aber du kannst ein Streichholz sein, und deine Mission ist nicht, dich selbst, sondern das Glück der Leute zu entzünden. Ein kleines Streichholz mit großer Wirkung.
Meine Aufgabe vier Jahre später in Peking schien mir schon nicht mehr so klar. Wir ersten neun Läufer bildeten den Anfang des Fackellaufs in Peking, deshalb brachte uns der erste Wagen schon frühzeitig von unserem Sammelpunkt zum Platz vor dem Wumen-Tor.
Unter den neun Läufern waren unter anderem Yang Liwei, Han Meilin, Liu Heng, Chang Hao, ich und Yao Ming, ich übernahm von Chang Hao und übergab an Yao Ming.
Als Chang Hao mir die Fackel übergab, war die Form unserer Übergabe ein zuvor wohlüberlegter Schachzug: Ich nahm die Fackel an, streckte aber erst den Zeigefinger der rechten Hand nach oben, richtete den Blick gen Himmel und verharrte so drei, vier Sekunden lang, bevor ich loslief. Das waren nur Sekunden, aber in meinem Herzen war es eine lange Zeit.
Die meisten Leute verstanden die Geste sofort, aber andere fragten mich: »Was hatte das zu bedeuten?« Fußballfans kennen es. Wenn ein Spieler einer Fußballmannschaft gestorben ist, beginnen seine Mannschaftskameraden das nächste Spiel damit, dass sie die Zeigefinger nach oben ausstrecken und einige Sekunden so verharren, wie um dem Verstorbenen zu sagen: »Siehst du? Wir sind immer noch zusammen, alles, was wir tun, tun wir für dich.«
Ich setzte diese Geste ein, um an die Erdbebenopfer von Wenchuan zu erinnern.
Ich kann mir vorstellen, dass viele genauso dachten wie ich; und ich nutzte die Gelegenheit zu dieser Geste stellvertretend für uns alle. Ich erinnere mich, wie ich kurz nach dem Erdbeben in Sichuan recherchierte. Damals war Xiong Wangui, ein kurz vor der Pensionierung stehender Funktionär, der im Büro des Parteikomitees von Mianyang arbeitete, für die Unterbringung der obdachlosen Erdbebengeschädigten in der Turnhalle von Jiuzhou zuständig. Auch er war als Fackelläufer ausgewählt worden. Dann wurde wegen des Erdbebens der Fackellauf durch Mianyang und Umgebung gestrichen, und ich werde nie vergessen, was er damals zu mir sagte: »Als das Erdbeben kam, habe ich nicht geweint. Doch als ich erfuhr, dass der Fackellauf gestrichen
Weitere Kostenlose Bücher