Sind wir nun gluecklich
von diesem Auftreten beinah noch übertroffen, denn jene noble Geste war etwas, was noch über die Grandezza von Olympia hinausging. Die zweite Gruppe bestand aus den Vertretern des chinesischen Teams für die Olympiawahl inklusive Zhu Mingde. Sie wurden von uns wie Helden begrüßt. Unvergesslich, wie Zhu Mingde, als er auf unserem Schreibtisch in einer Lunchbox zwei übrig gebliebene Baozi 11 entdeckte, sich alle zwei auf einmal einverleibte und dabei sagte: »Schmecken die gut! Ich sterbe vor Hunger!« Die Armen hatten zuvor wohl kaum etwas gegessen oder, wahrscheinlicher, vor Aufregung nichts hinunterbekommen.
Für die nächsten Minuten hingen wir allesamt gebannt vor einem kleinen 14-Zoll-Monitor, auf dem wir uns in unserem Studio die ausgelassenen Jubelfeiern in China ansehen konnten.
Der Tian’anmen-Platz und der Platz des Millennium-Monuments waren voller Menschen, auf den zwei großen Ringstraßen waren die Autos zum Stehen gekommen. Nie zuvor hatte ich Chinesen in einem so verrückten Freudentaumel erlebt. Bei diesem Anblick bekam ich plötzlich Heimweh. Es wird sicher von vielen als Privileg betrachtet, vor Ort in Moskau bei Samaranchs Bekanntgabe dabei gewesen zu sein, aber in Wirklichkeit war der stillste und traurigste Ort, an dem man nach der Bekanntgabe sein konnte, Moskau. Man konnte nicht mitjubeln auf der Chang’an, sich nicht mit den anderen auf der Ringstraße freuen. Wir konnten nur auf den Bildschirm starren und uns auf die Rückreise freuen.
Trunken in Moskau
Ich wollte ursprünglich gleich am Abend des nächsten Tages zurück nach Peking, aber ausgerechnet die unvorhergesehene Freude ließ mich die Abreise um einen Tag verschieben. Am selben Abend feierten Kollegen und ich in meinem Zimmer Nummer 713 mit ein paar Bier in kleiner Runde.
Am nächsten Tag gingen wir mittags unter der Führung von Ma Guoli auf Moskaus Straßen auf die Suche nach einem kleinen Restaurant, um den Abschluss der vorangegangenen Aufregung zu feiern.
Wir tranken russischen Wodka, der ziemlich leicht die Kehle hinunterging, was einen genauso leicht vergessen lässt, dass er über 40 Prozent Alkohol hat. Ganz abgesehen davon, dass wir, glücklich über den Sieg Pekings und die gelungene Sendung, mehr tranken als aßen. An die ersten zehn kann ich mich noch erinnern, danach erinnere ich mich an nichts mehr …
Als ich wieder nüchtern war, war es früher Morgen, und ich lag in meinem Zimmer im »Hotel Ukraine« – und das wiederum bedeutete, dass ich meinen Rückflug nach Peking verpasst hatte, der am 14. abends gewesen wäre. Mein ganzer Körper schmerzte wie nie zuvor. Bis heute, da ich dies schreibe, kann ich darüber lachen, und zwar ohne jede Reue. Jeder muss im Leben einmal eine Dummheit machen, etwas Verrücktes, zwei Tage opfern für eine heitere Erinnerung; das ist es wert. Peinlich war allein, dass ich meinen Kollegen mit meinem Kater Scherereien gemacht hatte; wie auch immer – sie waren ein Teil meiner schönen Erinnerungen.
Am Abend des 15. wartete ich schließlich auf meine Maschine nach Peking. Die meisten der Mitreisenden waren Chinesen, deren ausgelassene Stimmung den ganzen Flug über spürbar wurde. Wegen meines Katers konnte ich dagegen weder sprechen noch schlafen, doch im Gegensatz zum Hinflug war ich ruhig und zufrieden. Ich wusste, dass für mich und für China oder die Chinesen ein neuer Traum begonnen hatte. Was würde China der Welt in sieben Jahren zu bieten haben, und welche Veränderungen würde die Zwischenzeit für China mit sich bringen?
11 Baozi sind gefüllte chinesische Dämpfklöße.
Kapitel 7 – Reifeprüfung für das alte China
Moskau, 14. Juli 2001. Tags zuvor hatte Peking gerade das Austragungsrecht für die Olympiade zugesprochen bekommen. Während wir uns nun entspannen konnten in der Vorfreude auf die Spiele in sieben Jahren, die noch allzu lange hin waren, hörten wir den altgedienten Sportler Wei Jizhong, Mitglied der chinesischen Delegation für die Olympia-Bewerbung, sagen: »Für die Leute, die die Olympischen Spiele sehen wollen, sind sieben Jahre eine lange Zeit. Aber für diejenigen, die die Spiele organisieren, sind sieben Jahre viel zu kurz!«
Ich erinnere mich an diesen Satz, obwohl ich seine tiefere Bedeutung lange nicht erfasste – oder nicht erfassen wollte. Wir alle fieberten den Spielen entgegen, und die Zeit verging uns bis dahin viel zu langsam.
Mit der Zeit wurden dann immer mehr symbolische Markierungen auf dem Weg zu den Olympischen
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