Sind wir nun gluecklich
Es kam wirklich dazu, und es kam zu einem Ergebnis, das sich die Leute so nicht ausgemalt hatten.
Als Lang Ping den Job als Trainerin in den USA übernahm, waren die chinesischen Volleyball-Spielerinnen Weltmeister und Olympiasieger, gegen die sich die Amerikanerinnen noch wie Amateure ausnahmen. In China erwartete man eine »friedliche Schlacht«, weil man ohnehin davon ausging, dass China gewinnen würde. Viele konnten es schwer akzeptieren, dass eine Chinesin mit einer ausländischen Mannschaft gegen eine chinesische gewinnt. Wenn sie gegen uns verlieren, wie beim Tischtennis, dann geht das ja noch, aber wehe, wenn sie gewinnen. Doch dann geschah das Unfassbare, und sowohl die Chinesinnen als auch die Amerikanerinnen schufen viele kritische Situationen, keine Seite wollte die »friedliche Schlacht« verlieren, sie verlief auch alles andere als »friedlich« – und am Ende unterlagen die chinesischen Volleyballerinnen!
Für einen Augenblick kam es zu Verständnislosigkeit und sogar Beschimpfungen, aber die chinesische Presse und die Öffentlichkeit demonstrierten Vernunft und Reife. Es dauerte nicht lange, bis die Mehrheit der Leute akzeptierte, dass Lang Pings Team gegen die Chinesinnen gewonnen hatte. Es war keine friedliche Schlacht gewesen, aber nun war es immerhin eine akzeptable, und schnell war man wieder so weit, dass man bei Spielen der US-amerikanischen Volleyballliga wie zuvor »Lang Ping jiayou« rief. Es dauerte zwei Tage, bis sich dieser Sinneswandel vollzogen hatte, aber er bedeutete den lebendigen Beweis für eine erfolgreiche Lektion auf dem Weg zur Reifeprüfung. In dieser Zeit, wo es heißt: »Einer für alle, alle für einen«, können wir uns nicht nur darüber freuen, wenn ein französischer Coach die chinesischen Fechter zum Sieg gegen Frankreich bringt, sondern müssen uns auch damit abfinden, wenn ein Chinese eine ausländische Mannschaft gegen China siegen lässt. Sich daran zu gewöhnen bedeutet wirkliche Offenheit, eine aufrichtige Offenheit.
Diese Lektion hatten wir gelernt, da kam schon die nächste. Liu Xiang, für 1,3 Milliarden Chinesen »unser aller Sohn« und Held auf dem Gebiet der Leichtathletik, konnte mit einem Schlag nicht mehr laufen und musste sich aus dem Wettkampf zurückziehen. China verschlug es einen Moment lang die Sprache, dann seufzte die ganze Nation auf, alle wollten wir Liu Xiang ein Happy End für seine Karriere schreiben. Wie konnte etwas, das gerade erst begonnen hatte, schon wieder zu Ende sein? Die Show mittendrin unterbrechen?
Im Internet verbreiteten sich in Windeseile Anschuldigungen und Zweifel, und man musste die wüstesten Beschimpfungen bis hin zu »Verräter!« lesen: »Du musst deinen Weg zu Ende gehen!«, »Wir sind schockiert, wenn du die Hürde nicht nimmst!« … Daraufhin berief sein tieftrauriger Trainer Sun Meiping eine Pressekonferenz ein … An diesem Tag zählten die Olympischen Spiele überhaupt nichts mehr, es gab nur noch Liu Xiang.
Sich wegen einer Verletzung aus einem Wettbewerb zurückziehen zu müssen ist normalerweise nichts Besonderes, und bei genauem Hinsehen hatte das mit Liu Xiang nichts zu tun, es wurde zur Sache eines jeden Chinesen, zur nationalen Angelegenheit. Wie damit umgehen? Können wir das hinnehmen?
Nach wenigen Stunden standen zwar immer noch Beschimpfungen im Netz, aber vernünftige Stimmen gewannen die Oberhand, auch die Presse bewahrte einen bewundernswerten Realitätssinn und brach eine Lanze für die Vernunft. Allmählich begannen die Leute, sich mit der Tatsache abzufinden, dass Liu Xiang aus dem Rennen war. Auch wenn es anfangs zu Beleidigungen kam, die vielleicht der momentanen Enttäuschung geschuldet waren, verging doch nur kurze Zeit, bis sich auch unter den Demagogen die Vernunft ihren Weg bahnte. Rational zu denken ist nicht leicht, Vernunft braucht Zeit, die man ihr auch geben muss. Doch schließlich war es ein Fortschritt, dass die Medien und auch zunehmend die Öffentlichkeit sich von Lang Ping bis Liu Xiang auf die Seite der Vernunft schlugen. Die vernünftige Argumentation der Medien konterte gegen die Wutausbrüche der Leute und balancierte sie aus, damit die Vernunft Raum zum Wachsen hatte.
Natürlich können chinesische Trainer eine ausländische Mannschaft zum Sieg gegen eine chinesische führen, und Athleten sind nicht immer nur erfolgreich und können Verletzungen erleiden, die ein Grund zum Aufhören sind. Das sind ganz gewöhnliche Vorgänge, die, oberflächlich betrachtet, keiner
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