Sine Culpa
musste, überhaupt noch weiter zu suchen. In dem von ihr bewusst geschaffenen Chaos konnten sich ihre Augen an nichts mehr orientieren, also ließ sie sie einfach über die Fotos gleiten und versuchte, Elemente wahrzunehmen, die ihr zuvor entgangen waren.
Auf einem Bild verkaufte Alec gerade eine alte LP von den Eurhythmics, die sie sich damals gleich gekauft hatte, als sie auf den Markt kam. Es war eine ihrer Lieblingsplatten gewesen, und sie musste schmunzeln. Auf einem anderen Foto reichte er gerade einem Kunden den Band D-E der Encyclopaedia Britannica, und sie fragte sich, warum jemand so etwas erstand.
Alison ging an den Tafeln entlang, verweilte auf einzelnen Aspekten, ließ ihren Blicken freien Lauf. Sie kam an ein Bild, wo Alec wieder das Eurhythmics-Album verkaufte, und wollte es gerade als Duplikat herunternehmen, als sie mitten in der Bewegung innehielt. Er trug Handschuhe und Schal. Eilig ging sie zu der ersten Tafel zurück und sah sich das erste Foto erneut an. Hier trug er ein kurzärmeliges T-Shirt – es war Sommer. Die Fotos waren zu unterschiedlichen Zeiten entstanden.
Mit klopfendem Herzen ging Alison nun Tafel für Tafel durch und nahm die Fotos ab, auf denen anscheinend irgendwelche Produkte mehr als einmal verkauft worden waren. Nach einer Stunde konzentrierter Arbeit hatte sie fünf Packen Bilder zusammen. Das Eurhythmics-Album hatte fünfmal den Besitzer gewechselt, sie wusste, dass es ein und dasselbe war, weil auf dem Cover ein Fleck war. Ein abgegriffenes Taschenbuch von Der Wind in den Weiden war zehnmal verkauft worden. Herr der Fliegen sechsmal; die LP einer obskuren Punkband – Vomit Psycho II – war bei drei Gelegenheiten von derselben Person erstanden worden, und die Special Edition einer Single von Stevie Wonder sage und schreibe zwanzigmal.
Jedes Mal vergewisserte sie sich mit Hilfe einer Lupe, dass es sich auch tatsächlich immer um ein und denselben Gegenstand handelte, der da mehrfach verkauft wurde. Dann sortierte sie die Packen chronologisch und konzentrierte sich auf die jeweiligen Käufer. Nach fünf Minuten musste sie zu Papier und Stift greifen, um sich Notizen zu machen. Um neun rief sie Fenwick zu Hause an, ließ seine Vorwürfe, weil sie so spät noch arbeitete, über sich ergehen und sagte ihm dann, dass sie etwas Neues habe.
»Alec Ball benutzt seinen Flohmarktstand als Tarnung. Der verkauft irgendwas Illegales.«
»Aber das wäre doch zu offensichtlich. Das hat das vorherige Team gleich als Erstes untersucht. Und wir haben als ›Kunden‹ immer wieder in seinem Kram rumgestöbert – der hat bloß billige Bücher und alte LPs. Wenn wir verdeckt nach Pornos oder pädophilem Material gefragt haben, hat er nie angebissen.«
»Und wieso verkauft er dann während der Zeit, die wir ihn unter Beobachtung haben, wiederholt ein und dieselbe Ausgabe von manchen Schallplatten?«
Sie erläuterte Fenwick, was sie gefunden hatte; ihre Aufregung war ansteckend.
»Das ist ja unglaublich – wie konnte ich das übersehen?«, fragte er, ohne zu merken, wie arrogant das klang.
»Sie ja nicht allein. Wir haben es alle übersehen. Wie Sie gesagt haben, der Wald und die Bäume. Und außerdem vergeht immer ein gutes Stück Zeit, ehe der Gegenstand erneut verkauft wird, sodass man sich nicht unbedingt daran erinnern kann.«
»Also, was steckt in diesen Hüllen und Umschlägen?«
»Genau. Und wer kauft sie?«
»Gibt es Kunden, die öfter kommen?«
»Ein paar. Sie kommen nicht sehr oft, aber oft genug, um sie mal genauer unter die Lupe zu nehmen.«
»Das war prima Arbeit, Alison. Sagen Sie dem Rest des Teams, dass ich ein Bier spendier.«
»Ah … mach ich.«
»Ich bin morgen früh in Harlden und vernehme Maidment …«
»Ich dachte, den hätten wir abgeben müssen?«
»Ich leite die Vernehmung, solange die Soko Chorknabe noch aktiv ist, und dank Ihrer Entdeckung könnte das länger der Fall sein, als alle meinen.« Er lachte leise und klang ungewohnt entspannt. »Sobald ich in Harlden fertig bin, komme ich zu einer Teambesprechung. Können Sie für ein Uhr eine ansetzen?«
»Klar, kein Problem.«
»Und Alison, Sie müssen morgen nicht sehr viel früher da sein, okay? Das könnte eine langwierige Geschichte werden, und Sie sollten mit Ihren Kräften haushalten.«
Das müssen Sie gerade sagen, dachte sie insgeheim, als sie das Gespräch beendete.
18
Über Nacht beschloss Fenwick, seine Vernehmungstaktik zu ändern und Maidment offen mit den Beweisen zu
Weitere Kostenlose Bücher