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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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die letzten Stufen der Treppe.
    Eine Weile geschah nichts. Er hörte, wie der Mann an etwas herumnestelte und dabei leise fluchte. Schließlich flammte der Schein einer Laterne auf, der den Raum in warmes Licht tauchte. Wissel sah in ein an sich gutmütiges, jetzt aber ziemlich streng blickendes Gesicht.
    »Wer sind Sie? Und was machen Sie auf dem Anwesen der Recks?«, wollte der Fremde mit bestimmter Stimme wissen.
    »Ich bin Gustav. Gustav Wissel. Und … Und …« Er stockte. Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck trotzig. »Wer sind eigentlich Sie?«, fragte er erstaunlich resolut.
    Der etwas korpulente, aber kräftige Mann nahm einen Gegenstand aus seiner Tasche und zeigte ihn Gustav. Es handelte sich um einen Dienstausweis. »Ich heiße Oskar Werlhoff und arbeite bei der Gendarmerie«, stellte er sich vor und verstaute die Waffe, die er nicht mehr zu benötigen schien, wieder im Halfter.
    Wissel riss die Augen auf. »Polizei?«
    Lächelnd nickte der Beamte. »Ich habe Sie aus Fichtners Haus kommen sehen. Aus welchem Grund waren Sie dort?«
    Gustav ließ sich auf einen Haufen Schutt fallen und seufzte tief auf. »Ich habe Lina besucht.«
    Werlhoff setzte sich ihm gegenüber und stellte die Laterne vor sich auf den Boden. »Lina Fichtner? Was wollten Sie von ihr?«
    »Ich mag sie sehr.« Gustav zeichnete mit dem Finger nichtssagende Figuren in den Staub. Sein Gesicht flackerte rot im Licht der Lampe. »Sie sollte das wissen.« Der Polizist betrachtete ihn interessiert. Nach einer kurzen Pause fuhr Wissel fort: »Sie wird einmal meine Frau, wussten Sie das? Sie … Sie ist meine große Liebe.«
    »Und Frau Fichtner? Hegt sie dieselben Gefühle für Sie?«, erkundigte sich Werlhoff sanft.
    Gustav fuhr erregt auf: »Natürlich! Zweifeln Sie etwa daran? Sie wird mich ebenso lieben wie ich sie. Ganz bestimmt. Ja, sicher. Das steht für mich außer Frage.« Er stand auf und trat an die Fensteröffnung. Sein Herz begann zu hämmern, als er sah, dass im Haus gegenüber Licht brannte. Er konnte Lina erkennen, die im Nachtgewand vor dem Spiegel saß und ihr Haar kämmte. »Da ist sie. Sie ist so wunderschön«, flüsterte er.
    Werlhoff gesellte sich zu ihm und folgte seinem Blick. »Ja, eine attraktive Frau«, bestätigte der Beamte. Sie schwiegen beide, versunken in dem Bild vollkommener Anmut, das sich ihnen darbot.
    »Würden Sie für sie töten?« Oskar Werlhoff sprach leise und behutsam.
    »Ja, das würde ich«, antwortete Gustav, ohne lange nachzudenken. Sofort schlug er sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Aber … Aber ich habe nicht getötet. Ich … Ich meine … ihren Mann. Ich habe ihn nicht umgebracht. Das … Das müssen Sie mir glauben. Bitte.«
    Der Polizist ging nicht darauf ein. »Warum kamen Sie hierher?«, fragte er stattdessen.
    Wissel überlegte. »Ich wollte sie noch einmal sehen, bevor ich nach Hause gehe«, gab er schließlich wahrheitsgemäß zur Antwort. Erneut sagten beide eine Zeit lang nichts. Der Vogel hatte seinen Gesang eingestellt und steckte vermutlich gerade seinen kleinen Kopf ins Gefieder, um selig zu schlummern.
    »Sind Sie verheiratet?«, wollte Gustav schließlich wissen. Oskar Werlhoff bejahte. »Und lieben Sie Ihre Frau?«
    »Ja, doch.«
    »Was lieben Sie an ihr besonders?«
    Der Beamte zögerte. »Ihr Wesen. Dass ich mich auf sie verlassen kann. Das Gefühl der Geborgenheit, das sie mir vermittelt. Und ich liebe sie wegen der drei wunderbaren Kinder, die sie mir geschenkt hat.«
    Wissel nickte. »Das sind Gründe, die ich verstehen kann.« Er hielt einen Moment inne. Seine Hände umklammerten das Sims. Mit einem leichten Zittern in der Stimme fuhr er fort: »Aber macht Sie Ihre Frau manchmal auch vollkommen verrückt? Verunsichert sie Sie auch so, dass Sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können? Mir genügt schon die Vorstellung von Linas Ellenbogen, um bis in mein Innerstes zu erbeben.«
    Der Polizist drehte sich abrupt um und begab sich zur Laterne zurück. »Ich glaube, das ist zu persönlich, Herr Wissel. Ich möchte, dass Sie nun gehen. Ich muss noch ein paar Stunden das Haus observieren.« Er hob die Lampe auf und leuchtete Gustav ins Gesicht. »Sie sollten sich schlafen legen.«
    Wissel stimmte zu. Auf einmal wirkte er wieder nervös und unsicher. »Ja, Sie haben vermutlich recht.« Er reichte dem Beamten die Hand. »Auf Wiedersehen. Es hat mich gefreut …, wirklich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Ich gehe nun nach Hause. Zu … Zu meiner Mutter.

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