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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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noch immer nicht hinter uns gelassen hätten. Sie und Ihre Leitartikler bauschen doch auf, wo es nur geht, stellen diskriminierende Fragen und haben – so scheint’s mir – das heilige Prinzip der Unschuldsvermutung ganz hinter sich gelassen. Gestern Abend legte uns einer Ihrer Kolumnisten nahe, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Sektionsrat Fichtner ins Kriminal wandere. So ein Schmock! Ausgepeitscht gehört er, mitten auf dem Stephansplatz.«
    »Ja, ja«, war auf einmal Altenberg zu vernehmen, der zwischen zwei Schlucken vor sich hermurmelte: »Immer diese Wiener. Eigentlich ist’s a schöne Stadt, dieses Wien, wenn nur nicht diese Wiener drin wären …«
    »Zugegeben, die Berichterstattung verläuft ein wenig einseitig«, meldete sich ein anderer Mann zu Wort, der Fichtners Aufmerksamkeit bisher entgangen war: Es war der junge Literat Hofmannsthal, der vorgetreten war, und sich pathetisch, wie mit eingeübter Geste, durch die Haare fuhr. »Doch muss ich unseren Wiener Blätterwald verteidigen, zumal die meisten seiner Artikel im Konjunktiv verfasst waren. Dies musst selbst du, lieber Karl, der du ja mit solcher Besessenheit Wert auf Sprache legst, eingestehen.«
    »Närrische Sophisterei!«, meinte Kraus aufbrausend. »Das muss ich mir doch nicht bieten lassen von einem Dichter, der den ganzen Erdkreis in mitleidiges Erstaunen versetzt, indem er Krethi und Plethi erzählt, er leide unter einer Schreibblockade.« Gerade als er von Neuem zu einer Erwiderung ansetzen wollte, kam ihm Schnitzler zuvor, indem er den Sektionsrat freundschaftlich am Arm packte und meinte: »Auf ein Wort, Robert: Wie geht es deinen Pilzen?«
    Ein joviales Lächeln huschte über das Gesicht des Arztes, und Fichtner, der dankbar war, nicht mehr als Gesprächsthema dienen zu müssen, hielt ihm die Packung mit den Virginias hin. Auf diese kollegiale Art aus der Schusslinie gezogen, zeigte nur mehr Hofmannsthal Interesse an dem Sektionsrat, während Kraus sich dazu hingerissen sah, eine Schimpftirade über den Wiener Journalismus vom Stapel zu lassen.
    »Pilze?«, erkundigte sich Hofmannsthal.
    Arthur Schnitzler nickte. »Ja, ich wildere wieder im Gebiet der Medizin. Mein Interesse an ihm ist nicht mehr das des Literaten, sondern das des Arztes.« Und zu Fichtner gewandt, sagte er: »Hast du sie hoffentlich entsorgt?«
    Robert nickte. »Alle weggeschmissen«, antwortete er begütigend. »Sie fühlten sich in meinem Mund auch allzu modrig an; und wenn man schon auf Milch ausweichen muss, reicht dies vollauf.« Dass Schnitzler sich in seiner Gegenwart noch immer nicht die Zigarre angezündet hatte, rechnete er ihm hoch an; es war eine besondere Geste an diesem Ort. Und dass ihm diese Bande vergeistigter Dichter und Poeten kondolierte, konnte er ohnehin nicht erwarten.
    »Modrige Pilze im Mund«, wiederholte Hofmannsthal geistesabwesend. »Was es doch nicht alles gibt … Aber verraten Sie mir mal, wie Sie sich so fühlen unter uns Juden.«
    Der Sektionsrat sah ihn verständnislos an.
    »Ich glaube, ich verstehe nicht ganz …«
    »Nun, wir alle wissen um die Verdienste, die Sie sich erworben haben, als Sie öffentlich für Arthur Partei ergriffen und seinen ›Leutnant Gustl‹ verteidigten, und ich denke, die Gemeinschaft der Wiener Juden steht in Ihrer Schuld. Aber ist es nicht vermessen von Ihnen, sich jetzt wieder mit uns sehen zu lassen? Gerade gestern noch stand in der Abendzeitung ein hämischer Hinweis darauf, dass Ihr Bruder sich mit Finanzen beschäftigt hatte und es daher wohl mit unausweichlicher Konsequenz nur ein Jude gewesen sein kann, der ihn umbrachte. Schauen Sie sich um: Altenberg, Schnitzler, Kraus und ich – allesamt Juden hier, eine richtige Verschwörung! Quasi eine Mörderhöhle.«
    Fichtner lächelte versonnen.
    Vor einem Jahr, als Schnitzler in der Weihnachtsbeilage der Neuen Freien Presse seine Soldatennovelle um einen einfältigen Leutnant veröffentlicht hatte, sah er sich einer antisemitischen Schmutzkampagne ausgesetzt, die dazu führte, dass man ihm nach einem ehrenrätlichen Verfahren den Offiziersrang absprach. Fichtner hatte sich dazu bewogen gefühlt, einige Leserbriefe zu veröffentlichen, in denen er den Schriftsteller in Schutz nahm. So war es denn auch zu ersten Treffen der beiden Männer gekommen, und das geschulte Auge des Diagnostikers hatte sofort das Anfangsstadium der Tuberkulose bei dem Sektionsrat entdeckt. Schnitzler revanchierte sich für Fichtners Einsatz, indem er ihm Meran

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