Sinfonie des Todes
Schamröte überflutete Linas Gesicht. Sie versuchte, möglichst unbefangen zu wirken.
»Ah, Gustav. Was führt Sie hierher?« Sie trat auf ihn zu. Seine Gegenwart beengte sie unangenehm. Lina hatte das Gefühl, nicht mehr frei atmen zu können, wenn Gustav in der Nähe war, konnte sich aber nicht erklären, warum. Vielleicht war es die Nervosität, die der Mann ausstrahlte, die Unruhe, die jeden unwillkürlich ergriff, der sich mit ihm befasste.
»Ich wollte Ihnen mein Beileid ausdrücken und fragen, na ja, ob ich etwas für Sie tun kann.«
»Danke. Ich komme zurecht.« Lina eilte an ihm vorbei die Stufen hinauf und öffnete die Haustür. »Entschuldigen Sie, aber ich möchte gern allein sein. Auf Wiedersehen.« Sie wollte gerade die Tür zumachen, als Wissel, von plötzlichem Mut gepackt, seinen Fuß in den Rahmen stellte. »Ich weiß, wer Ihren Mann ermordet hat«, flüsterte er eindringlich, ohne ihr dabei in die Augen zu schauen.
Lina erstarrte.
Langsam zog sie die Tür wieder auf und sah Gustav entgeistert an. Dieser ergriff hastig ihre Hand und küsste sie ungestüm. »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich unaufgefordert bei Ihnen eindringe, doch die Ungeduld meines Herzens veranlasste mich, Ihr Kommen abzupassen.«
Verständnislos wiederholte Lina: »Die Ungeduld Ihres Herzens?« Sie musste sich überwinden, ihn nicht einfach fortzuschicken, doch sie wollte und musste unbedingt erfahren, was er mit seinen dunklen Andeutungen meinte. »Kommen Sie herein. Und schließen Sie die Tür.«
Vorsichtig, schon fast ehrfürchtig trat Gustav über die Schwelle, die für ihn die Grenze zwischen Einsamkeit und baldigem Liebesglück symbolisierte. Er folgte Lina in den Salon und setzte sich auf eben jenen Stuhl, auf dem vor kurzer Zeit noch Robert Platz genommen hatte.
»Ich fühle mich geehrt, werte Lina, Gast in Ihrem Hause sein zu dürfen.«
Die Witwe winkte ab. »Ja, ja, schon gut.« Sie ließ sich ebenfalls nieder und massierte ihre Finger. »Sie haben erwähnt, Sie wüssten, wer meinen Gatten umgebracht hat?«, erkundigte sie sich direkt.
Gustav lächelte geheimnisvoll. »Ja, das habe ich gesagt«, meinte er und schaute zu Boden. Schweigen breitete sich aus, während Lina immer ungeduldiger wurde.
»Und? Was wissen Sie nun?«, fragte sie grob nach. »Wer hat meinen Mann auf dem Gewissen?«
Wissel rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. »Eine Person, die Sie sehr gut kennen.«
»Ah, ja? Und wer soll das sein? Nun reden Sie schon!« Lina verschränkte trotzig die Arme. Ihre Augen flackerten nervös.
Gustav zögerte. Tief Luft holend, rückte er seinen Stuhl näher an Lina heran und beugte sich vor. In vertraulichem, leisem Ton begann er, ihr sein Herz auszuschütten. »Vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass ich mehr als nur freundschaftliche Gefühle für Sie empfinde.« Die Witwe zuckte zusammen und wich von ihm weg. Wissels Hände zitterten, er kratzte sich unablässig am Hals und kaute so stark auf seiner Unterlippe herum, dass sie zu bluten begann. Erschrocken fuhr er mit der Zunge über die Wunde und holte ein Tuch aus seiner Tasche, das er beschämt an den Mund hielt.
»Entschuldigen Sie, liebe Lina. Ich bin so nervös, habe Angst …, große Angst davor, dass Sie …, dass Sie mich irgendwie …« Gustav hielt inne, rang nach Worten. Die Baumwolle seines Taschentuchs, das er immer wieder auf die Lippen tupfte, hatte sich stellenweise rot verfärbt. Lina wandte sich angeekelt ab und stand auf, wobei ihr Kleid sachte das Knie des ungebetenen Besuchers streifte. Wissel erbebte bei dieser Berührung. Tränen standen in seinen Augen, in die ein flehender Ausdruck getreten war.
Verzweifelt rang er die Hände und streckte sie ihr entgegen. »Sie müssen wissen, dass ich noch nie eine Frau … Also, ich … Eine Dame habe ich noch nie … Sie wissen bestimmt. Nur Sie beherrschen meine Gedanken, meinen Kopf. Und … Und natürlich mein Herz. Ja, mein Herz natürlich auch. Ständig. Sogar … Sogar, wenn ich schlafe. Besonders dann. Wenn ich schlafe, ja.« Entmutigt beendete Gustav seine immer wieder stockende Rede. Das Gefühl der Sinnlosigkeit in der Brust engte ihn zu stark ein und schnürte ihm die Kehle zu. Er sehnte sich nach den tröstenden Armen seiner Mutter, doch er wollte eigentlich noch so viel loswerden, wollte all seine Empfindungen, seine erlittenen Qualen vor der Frau ausbreiten, die er schon unfassbar lange liebte. Er erschauderte, als er bemerkte, wie unsäglich
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