Single in the City - Frl. Garbers rennt durch die Stadt
eine andere Stadt gezogen. Er hat mittlerweile eine Frau, zwei Kinder und einen Bauchansatz. Als er all das noch nicht hatte, saßen wir oft die ganze Nacht auf meinem meterlangen Balkon auf zwei Liegestühlen und schauten auf das graubraune riesige Spukhaus gegenüber.
Die unteren Stockwerke waren zugemauert. Aus zerbrochenen Fensterscheiben darüber wehten bei Sturm die Vorhänge. Im obersten Stockwerk wuchs eine Birke aus den Mauern, rechts oben auf einer der Fensterbänke war ein Puppenkopf aufgespießt, ein paar Fenster weiter hatte jemand aus einem Grillrost und Schwämmen ein Gesicht gebastelt. In einem Zimmer glühte immer nachts eine Lampe, obwohl es gar keinen Strom gab. Und wenn der Wind die Fenster auf und zu schlug, quietschten sie, als hätte man ihnen befohlen, die Geräuschkulisse für einen Horrorfilm zu liefern. Es war ein tolles Haus. Stundenlang konnte man es sich anschauen, und wie an einem guten Kunstwerk entdeckte man immer neue Einzelheiten. Das Beste am Spukhaus war, dass da niemand wohnte. Außer einer Horde Krähen. Und noch besser war, dass sich niemand traute, das Haus zu betreten.
Mit anderen Worten: Wir von gegenüber konnten nackt auf dem Balkon Cha-Cha-Cha tanzen. Passenderweise stand über dem Haus immer auch noch der Abendstern. Natürlich erst am Abend. Und gegen Mitternacht der Mond.
Das Haus, hieß es, war noch vollständig möbliert. Und ich stellte mir gern vor, wie es sich dort ganze Tierfamilien gemütlich gemacht hatten. Familie Spinne, Familie Ratte, Familie Kellerassel.Eigentlich bin ich bislang nur noch nicht aus meiner Wohnung ausgezogen, weil ich noch keine andere mit einem Spukhaus im Hinterhof gefunden habe. Warum Attraktiver Nachbar weggezogen ist, kann ich mir bis heute nicht erklären. Es muss etwas mit der Frau, dem Kind und dem Bauchansatz zu tun haben. Als er noch da war, verbrachten wir ganze Sommer auf dem Balkon. Manchmal schliefen wir dort in unseren Liegestühlen auch einfach ein.
Und dann passierte etwas Schreckliches. Plötzlich rannten Menschen über das Dach. Ganze Horden zogen mit Bierkisten rüber. Prenzlauer-Berg-Gören rauchten ihre ersten Zigaretten neben den Schornsteinen. Jemand hatte eine Leiter mitgebracht. Halb Prenzlauer Berg stand da auf dem Dach und winkte rüber zu meinem Einsiedler-Balkon.
Drei Tage später kam der Bautrupp. Als Erstes wurden die Bäume im verwunschenen Garten gefällt. Als ich abends heimkam, war der Puppenkopf weg. Alle Fenster waren herausgebrochen worden. Das Haus sah aus wie jemand, dem man brutal die Augen herausgerissen hatte.
Aus diesen Fensterlöchern schauen jetzt die Bauarbeiter auf meinen Balkon. Es ist nun ein besetztes Haus. Statt von Vogelgezwitscher werde ich von Vorschlaghämmern geweckt.
Vermutlich werden bald honigfarbene Dielen in dem Haus verlegt, Wände weiß verputzt, falscher Stuck an die Decke geklebt und rechteckige Fliesen und eine blaue Zierleiste im Bad. Balkone werden angebaut werden. Und ein gläserner Fahrstuhl. Und dann ziehen junge Pärchen ein, bekommen Kinder und ziehen schließlich nach Pankow.
Und bald wird sich niemand mehr daran erinnern, dass es da mal ein Haus gab, das jahrelang dem Prenzlauer-Berg-Sanierungswahnsinn getrotzt hat. Und dass es mitten in Prenzlauer Berg einen Ort gab, wo es ganz still war. Aber wenn das Haus schöner wird als das, in dem ich lebe, ziehe ich natürlich rüber.
Warum ich nur ungern zum Friseur gehe
Neulich war ich in meinem Lieblingscafé.
Weil ich dort nicht nur Kaffee trinke, sondern immer auch etwas lernen möchte, griff ich mir eine Frauenzeitschrift. Der Mann, der neben dem Zeitschriftenregal saß, schaute mich entsetzt an: »Willst du das etwa lesen? Laut einer Studie fühlen sich Frauen nach Lektüre einer Frauenzeitschrift um 80 Prozent schlechter. Das ist Gift für euch.«
Ich kenne nur die Studie über die Schädlichkeit von Friseurbesuchen: 80 Prozent der Frauen bekommen beim Friseur Depressionen. Das liegt daran, dass sie es nicht ertragen, sich länger als 15 Minuten im Spiegel anzuschauen. In Minute eins ist noch alles in Ordnung. Mit einem Handtuchturban ums nasse Haar gewunden fühlt man sich wie Farah Diba auf dem Pfauenthron. Doch spätestens in Minute drei lässt sich der Spinat zwischen den Schneidezähnen nicht mehr ignorieren. Nach etwa fünf Minuten beginnt die gezielte Selbstzerfleischung: War diese Falte unter den Augen gestern schon da?
Sechs Minuten: Was ist das denn! Ein Damenbart? Gott sei Dank, war nur der
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