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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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noch
gar nicht, was es darstellt. Hätte ich damals schon gewusst, was
ich unterwegs, in Klamowka, von dir erfahren habe, wäre ich
jetzt nicht hier. Ebenso wenig wie diese Ausrüstung, die
eigentlich den ganzen Zweck der Übung ausmachte. Als die
Aristokratie vor rund zweihundertundvierzig Jahren den letzten
Arbeiter- und Techniker-Sowjet entmachtete, vernichtete sie auch die
Letzten der Füllhörner, mit denen das Eschaton die Neue
Republik bei ihrer Gründung bedacht hatte. Danach konnte die
Aristokratie ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse dadurch
sichern, dass sie den Zugang zu Bildung und Technik drastisch
einschränkte und die Informationstechnologie eng definierten
Zwecken und Gruppen vorbehielt. Das Gepäck, das ich
mitführe, besteht aus einem voll funktionsfähigen
Füllhorn, Martin. Es enthält Baupläne für nahezu
alles, was sich eine postindustrielle Zivilisation Mitte des
einundzwanzigsten Jahrhunderts nur vorstellen konnte – von
gefriergetrockneten Kopien der amerikanischen Library of Congress, der Bundesbibliothek, bis zu allen möglichen Dingen der
ausgefallenen Art. Außerdem kann sich das Gerät auch
selbst replizieren.«
    Als der Waldrand nur noch wenige Meter entfernt war, blieb Rachel
stehen und holte tief Luft. »Man hat mich hierher geschickt, um
das Füllhorn dem Untergrund zu übergeben, Martin. Man hat
mich hierher geschickt, damit ich den Rebellen die Mittel in die Hand
gebe, Revolution zu machen.«
    »Revolution zu machen…« Martin starrte sie an.
»Aber du kommst zu spät.«
    »Genau.« Sie ließ ihm einen Augenblick Zeit, die
volle Tragweite des Gesagten zu erfassen. »Natürlich kann
ich meine Mission immer noch zu Ende bringen – für den Fall
der Fälle –, aber eigentlich glaube ich nicht,
dass…«
    Er schüttelte den Kopf. »Und wie sollen wir aus diesem
Schlamassel herauskommen?«
    »Hm, gute Frage.« Sie drehte sich zu der schmelzenden
Raumkapsel um, griff in irgendeine Tasche und zog einige übrig
gebliebene Spionageroboter hervor. Derweil umkreiste Wassily ziellos
die Lichtung. »Normalerweise würde ich mich einfach in der
alten Stadt niederlassen und abwarten. In sechs Monaten wird ein
Handelsschiff vorbeikommen. Aber angesichts des
Festivals…«
    »Es werden Schiffe auftauchen«, sagte Martin im Grundton
der Überzeugung. »Und du verfügst über ein
Füllhorn, eine komplette mobile Anlage zur Produktion
militärischer und industrieller Güter. Wenn diese Anlage
eine Rettungskapsel für uns basteln konnte, schaffe ich es
bestimmt auch, das Ding so zu programmieren, dass es alles herstellt,
was wir zum Überleben brauchen. Bis wir die Chance haben, aus
diesem gottverlassenen Loch zu entkommen. Meinst du nicht?«
    »Wahrscheinlich hast du Recht.« Sie zuckte die Achseln.
»Aber zuerst mal sollte ich wirklich den Kontakt herstellen, und
wenn es nur zur Bestätigung dient, dass sich die Übergabe
des Füllhorns erübrigt hat.« Sie schlug den
Rückweg zum Landungsfloß ein. »Dieser Rubenstein soll
für einen Revolutionär ein recht nüchterner Denker
sein. Wahrscheinlich wird er wissen, was…« In der Ferne war
ein Knacken wie von brechenden Zweigen zu hören. Von der anderen
Seite der Lichtung aus rannte Wassily auf die Ausrüstung zu.
»Scheiße!« Rachel zog Martin zu Boden und kramte in
der Tasche nach ihrem Betäubungsgewehr.
    »Was ist los?«, flüsterte er.
    »Weiß ich auch nicht.«
    »Verdammt noch mal, sieht ganz so aus, als hätten sie
uns gefunden, wer sie auch sein mögen. Jedenfalls war’s
schön mit dir.« Ein großes buckliges Geschöpf
mit zwei riesigen, monströsen Füßen torkelte auf die
Lichtung zu und sperrte dabei ein Maul von der Größe einer
Haustür auf.
    »Warte.« Rachel drückte ihn mit einer Hand zu
Boden. »Nicht bewegen! Es ist wie ein verdammter Panzer
ausgestattet, hat überall Sensoren.«
    Das Ding schwenkte auf das Landungsfloß zu, um sich gleich
darauf niederzuhocken und eine lange, flache Zunge zu entrollen.
Etwas Großes tauchte darauf auf und benutzte die Zunge als
Leiter zur Wiese. Den Kopf hin und her schwenkend, nahm es alles
ringsum auf: die sich auflösende Raumkapsel, Wassily, der sich
dahinter versteckte, und den Rest der Lichtung. Gleich darauf rief es
mit verblüffend tiefer Stimme: »Hallo? Wir gekommen nicht
in Kriegsabsicht. Ist hier eine Rachel Mansour?«
    Also los. Sie stand auf und räusperte sich. »Wer
will das wissen?«
    Die Kritikerin grinste sie an und bleckte dabei beängstigend
lange Fangzähne.

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