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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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selbstständig machen oder einem anderen Kombinat
anschließen.«
    »Um welche Arbeit geht es überhaupt?«, hatte Martin
mit hochgezogener Augenbraue nachgehakt.
    »Haben Sie sich je gefragt, warum Sie existieren?«
    »Kommen Sie mir nicht mit…« Mitten im Satz hatte
Martin abgebrochen. »Ist das hier irgendein
Missionierungsgespräch?«
    »Nein.« Der Mann in Grau hatte ihm direkt in die Augen
gesehen. »Es ist das genaue Gegenteil. In diesem Universum
existiert noch gar kein Gott. Mein Arbeitgeber möchte jedoch die
notwendigen Voraussetzungen für die Emergenz Gottes sichern. Und
dazu braucht er menschliche Arme und Beine. Denn er selbst ist nicht
damit ausgestattet, wenn man es so ausdrücken will.«
    Als sein Glas krachend auf dem Boden aufgeschlagen und
zersplittert war, hatte Martin wieder klar denken können.
»Ihr Arbeitgeber…«
    »… glaubt, Sie könnten vielleicht etwas dazu
beitragen, die Sicherheit des Kosmos zu verteidigen, Martin. Ich will
hier keine Namen nennen«, der Mann beugte sich näher zu
ihm, »jedenfalls ist es eine lange Geschichte. Möchten Sie
diese Geschichte hören?«
    Martin hatte genickt, weil es ihm in dieser völlig
verrückten, im wahrsten Sinne surrealen Situation als das einzig
Vernünftige vorgekommen war. Und sein Nicken hatte den ersten
Schritt auf einem Weg bedeutet, der ihn achtzehn Jahre später
hierher geführt hatte: zu einem einsamen Besäufnis in der
Offiziersmesse eines zum Untergang verdammten Sternenschiffes, dem
nur noch Wochen blieben, bis seine Rolle in der Marine der Neuen
Republik ausgespielt war. Schlimmstenfalls auch nur Minuten.
    Irgendwann würde man ihn wie die gesamte Besatzung der Lord Vanek als vermisst melden und die Verwandten
benachrichtigen. Vor dem größeren Hintergrund eines
tragischen und unnötigen Krieges würde man Tränen um
sie vergießen, aber das würde ihn nicht mehr kümmern.
Sobald er sein Glas geleert hatte, würde er aufstehen, zu seiner
Kabine wanken, sich hinlegen und auf das gefasst machen, was im Laufe
der nächsten drei Monate auf ihn zukam – egal, was es sein
mochte. Bis die Falle endgültig zuschnappte.
     
    Trotz der summenden, rauschenden Ventilation und des
gelegentlichen Tröpfelns eines Überlaufrohrs, das neben
ihrem Kopf hinter der Wandvertäfelung verlief, war es in Rachels
Kabine heiß und irgendwie stickig. An Schlaf war nicht zu
denken, nicht einmal an Entspannung. Plötzlich wurde ihr
bewusst, dass sie sich gern mit jemandem unterhalten hätte, mit
einem Menschen, der ahnte, was hier vor sich ging. Sie wälzte
sich auf den Rücken. »Notebook«, sagte sie laut und
gab einem Drang nach, den sie schon einige Zeit unterdrückt
hatte. »Wo ist Martin Springfield?«
    »Wird geortet. In der Offiziersmesse des Schiffs, Deck
D.«
    »Ist jemand bei ihm?«
    »Negativ.«
    Sie setzte sich auf. Die Besatzung war auf den Gefechtsposten.
Was, in aller Welt, tat Martin dort ganz allein?
    »Ich gehe in die Offiziersmesse. Geheime
Rückversicherung: Soweit es das Schiff betrifft, bin ich immer
noch in meiner Kabine. Ausführung bestätigen.«
    »Positiv. Hinwegsetzen über Suchsystem des Schiffs
bestätigt, Rückversicherung gilt.«
    Sie mochten die Abschussrampen und Antriebssysteme des Schiffes
erneuert haben, aber das alte Kontroll- und Suchraster, in dem die
persönlichen Kennzeichen der Besatzung gespeichert waren, hatten
sie nicht angetastet. Vermutlich wurde es auch kaum benutzt,
schließlich hätte es die persönliche Tyrannei der
Unteroffiziere in wesentlichen Punkten überflüssig gemacht.
Rachel zog ihre Stiefel an, stand auf und griff nach dem Jackett, das
auf der oberen Koje lag. Sie würde sich eine Minute Zeit nehmen,
um sich zurechtzumachen, und dann Martin suchen gehen. Es war
unverantwortlich von ihr, ihre luftdichte Kabine zu verlassen,
während sich das Schiff zum Gefecht bereitmachte, aber Martin
handelte ebenso unverantwortlich. Was dachte er sich dabei?
    Hastig machte sie sich auf den Weg zur Offiziersmesse. Auf den
Korridoren des Kriegsschiffes herrschte unheimliche Stille.
    Die ganze Besatzung hatte sich entweder in den luftdichten Kabinen
eingeigelt oder befand sich auf den Posten zur Schadenkontrolle. Nur
das Summen der Ventilatoren durchbrach die Stille; das Summen –
und das Ticken der Uhr in der Offiziersmesse, als sie die Tür
aufmachte.
    Martin war ganz allein in der Messe und sah irgendwie mitgenommen
aus, wie er da in einem dick gepolsterten Lehnstuhl hing: wie eine
Flickenpuppe, die ihre

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