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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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zuvorzukommen.
    Adieu, Belinda, dachte er und verabschiedete sich innerlich
von seiner Schwester. Adieu, London. Der Staub von Jahrhunderten
fraß die Metropole inzwischen auf und ließ ihre
Türme zerbröckeln. Hallo, Hermann, sagte er zu der
ständig tickenden Pendeluhr an der Wand. Als Flaggschiff gab die Lord Vanek die Zeit für die anderen Schiffe der Flotte
per Signal vor. Und nicht nur das: Sie verfügte auch über
das Bezugsystem, das an die Raum-Zeit-Koordinaten des ersten Sprunges
gekoppelt war. Indem er das Laufwerk der Uhr etwas langsamer
eingestellt hatte, hatte er sichergestellt, dass sich der
Rückwärtslauf in der Zeit während ihres Manövers
ganz leicht verändern würde.
    Die Flotte würde innerhalb des Kausalitäts-Kegels
vorwärts reisen, vielleicht sogar viertausend Jahre in die
Zukunft. Dann würde sie in der Zeit
»zurückspulen« und fast die ganze Strecke hinter sich
bringen, auf der sie gekommen war, allerdings nicht ganz bis zum
Ausgangspunkt zurückkehren. Ihre Ankunft in Rochards Welt
würde sich um fast zwei Wochen verzögern; das war die
Zeitspanne, die sie auch für einen schnellen Flug dorthin
gebraucht hätten – ohne den faulen Trick mit der
geschlossenen zeitartigen Schleife, den die Admiralität
ausgeheckt hatte. Und dann würde das Festival… Nun ja, was
das Festival der Flotte antun würde, war dessen ureigene
Angelegenheit. Er wusste nur, dass er und alle anderen den Preis
dafür zahlen würden.
    Wen glaubten die denn mit ihrem Manöver hinters Licht
führen zu können? Dreist zu behaupten, sie wollten es nur
dazu nutzen, den Transit zu verkürzen, also wirklich! Selbst ein
Kleinkind konnte durch ein derart durchsichtiges Lügengespinst
die versiegelten Befehle sehen, die im Safe des Admirals warteten.
Man kann das Eschaton nicht dadurch verarschen, dass man sich selbst
belügt. Vielleicht würde Hermann, besser gesagt das Wesen,
das sich hinter diesem Codename verbarg, tatsächlich auf ihn
warten. Vielleicht würde Martin es tatsächlich schaffen,
von diesem zum Untergang bestimmten Schiff zu fliehen, vielleicht
auch Rachel. Oder die Marine der Neuen Republik würde das
Festival aufgrund einer seltsamen Wendung des Schicksals in einem
Kopf-an-Kopf-Rennen schlagen. Und vielleicht würde er Schweine
zum Fliegen bringen…
    Leicht schwankend stand er auf und stellte sein Glas unter den
Samowar. Er füllte es halb und goss so viel aus der
geschliffenen Glaskaraffe nach, bis über dem dampfenden Tee der
Geruch nach Rum auszumachen war, der ihm in die Nase stach. Ein
bisschen zu abrupt plumpste er wieder auf den Lehnstuhl. Inzwischen
waren seine Fingerspitzen und Lippen so taub, dass sie ihre Dienste
zu versagen drohten. Da er nichts anderes zu tun hatte, als seine
Schuldgefühle zu verdrängen, war er drauf und dran, sich
bis zur Besinnungslosigkeit vollaufen zu lassen – der leichteste
Ausweg.
    Er ließ seine Gedanken zu Erinnerungen zurückschweifen,
die leichter zu ertragen waren. Vor achtzehn Jahren – er hatte
gerade geheiratet und war als Außendiensttechniker mit einer
fliegenden Einheit umhergereist – hatte er in einer Bar irgendwo
im Orbit über Wollstonecrafts Welt eine denkwürdige
Begegnung gehabt. Ein völlig unauffälliger Mann in Grau
hatte ihn dort angesprochen. »Darf ich Sie zu einem Drink
einladen?«, hatte der Mann gefragt, dessen Kleidung auf einen
Buchhalter oder Rechtsanwalt hatte schließen lassen. Martin
hatte genickt. »Sie sind Martin Springfield«, hatte der
Mann festgestellt. »Gegenwärtig arbeiten Sie für
Nakamichi Nuclear, wo Sie verhältnismäßig wenig Geld
verdienen und unverhältnismäßig viele
Überstunden ableisten. Meine Geldgeber haben mich beauftragt,
wegen eines Job-Angebots Kontakt mit Ihnen aufzunehmen.«
    »Die Antwort lautet nein«, hatte Martin automatisch
erwidert. Er war schon vor einiger Zeit zu dem Schluss gekommen, dass
die Erfahrungen, die er bei NN sammeln konnte, nützlicher waren
als zusätzliche tausend Euro pro Jahr. Außerdem waren
seine Auftraggeber – ein Verbund – so paranoid, was gewisse
Verträge betraf, dass ihnen durchaus ein Vorgehen zuzutrauen
war, bei dem sie die Loyalität eines Auftragnehmers durch
getürkte Job-Angebote auf die Probe stellten.
    »Es gibt keinen Interessenkonflikt mit Ihrem derzeitigen
Auftraggeber, Mr Springfield«, hatte der Mann versichert.
»Der Job bedeutet nicht, dass Sie ausschließlich für
uns arbeiten müssten. Und akut wird das Angebot sowieso erst,
wenn Sie sich

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