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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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nichts Gutes
für die Zukunft hoffen.
     
    Kaum etwas kann einen Menschen so sehr beschäftigen wie das
Wissen, dass er in vier Wochen gehängt werden soll. Es sei denn
das Wissen, dass er das Schiff, das ihn befördert, sabotiert hat
und – gemeinsam mit allen anderen an Bord – in drei Monaten
sein Ende finden wird. Denn die Exekution mag zwar länger auf
sich warten lassen, aber die Chancen zur Begnadigung stehen dabei
ungleich schlechter.
    Ein Glas Tee in der Hand, saß Martin Springfield in der fast
leeren Offiziersmesse und starrte geistesabwesend auf die
Deckenbalken. Der Raum war ganz im nautischen Stil eingerichtet: Er
war mit alten Eichenpaneelen eingefasst, und der Fußboden aus
Holzbohlen war mit weichem Sandstein so lange poliert worden, bis er
glänzte. Auf einer von den Jahren angeschwärzten
Seemannskiste stand ein fein ziselierter silberner Samowar, der
schwach vor sich hin dampfte. Darüber hing ein riesiges, in Gold
gerahmtes Ölgemälde an der Wand, das den Namenspatron des
Schiffes in Aktion zeigte: Lord Vanek, wie er vor hundertsechzig
Jahren den Angriff der Kavallerie geleitet hatte, um die Rebellion
der Roboter niederzuschlagen. Damit hatte er auch die Hoffnungen all
jener zerstört, die von einem Leben ohne die Plackerei im
Dienste der Aristokraten geträumt hatten. Martin zitterte
leicht, als er versuchte, seine persönlichen Dämonen im
Zaum zu halten.
    Es ist alles meine Schuld, dachte er. Und es gibt
niemanden, mit dem ich diese Last teilen könnte.
    Trostloses Schicksal. Er nippte an seinem Glas und spürte
durch den bitteren Tee hindurch den scharfen, süßen
Geschmack des Rums. Inzwischen fühlten sich seine Lippen taub
an. Wie dumm von mir, dachte er. Es war zu spät, die
Dinge ungeschehen zu machen. Zu spät, ein Geständnis
abzulegen; selbst Rachel gegenüber, um sie, wenn irgend
möglich, aus dieser Falle zu retten, war das unmöglich. Er
hätte es ihr gleich am Anfang sagen sollen, ehe sie an Bord
gekommen war. Hätte dafür sorgen sollen, dass sie nicht
dabei war, wenn das Eschaton Rache übte. Selbst wenn er jetzt
alles beichtete oder es getan hätte, ehe sie die
Aufrüstungen zur Steuerung des Antriebskerns aktiviert hatten,
konnte es ihn nur auf einen Weg ohne Wiederkehr führen, hin zum
elektrischen Stuhl. Und immerhin war der Sabotageakt überaus
wichtig und würde niemanden direkt umbringen…
    Martin lief ein Schauer über den Rücken. Er trank das
Glas aus und stellte es neben seinem Stuhl ab. Unbewusst beugte er
sich vor und zog unter der Last seines schlechten Gewissens den Kopf
ein. Wenigstens habe ich das Richtige getan, versuchte er sich selbst
einzureden. Keiner von uns wird nach Hause zurückkehren, aber
wenigstens wird das Zuhause, das wir besaßen, noch da sein,
wenn wir selbst auch fort sind. Einschließlich der Wohnung, die
Rachel so gut wie nie benutzte. Er zuckte zusammen. Es war fast
unmöglich, wegen einer ganzen Flotte Schuldgefühle zu
entwickeln, aber allein das Wissen, dass Rachel an Bord war, hatte
ihn die ganze Nacht über wach gehalten.
    Das jämmerliche Pfeifen der Alarmsirenen hatte vor fast einer
Stunde alle an die Gefechtsstände gerufen. Es hatte damit zu
tun, dass sich derzeit eine Gruppe von Geschützträgern
Septagons näherte, die als Reaktion auf das Fiasko mit den
Grubenschleppern so aufgestachelt war wie ein Nest wütender
Hornissen. Martin war das gleichgültig. Irgendwo im Netzwerk der
Antriebskontrolle tickte ganz langsam – langsamer als vorgesehen
– ein atomares Uhrwerk, fein eingestellt auf eine bestimmte
Krümmung der Raumzeit durch Manipulation des Antriebskerns.
Natürlich war es nur eine leichte Abweichung, aber diese winzige
Änderung im Steuerungsprogramm würde
unverhältnismäßig schwer wiegende Konsequenzen haben,
sobald sich die Flotte auf den Rückweg durch die Raumzeit
machte. Er hatte diesen Fehler ganz bewusst eingebaut, um ein
katastrophales, unwiderrufliches Unglück zu verhindern. Die
Marine der Neuen Republik mochte eine geschlossene zeitartige
Schleife nur für ein unbedeutendes taktisches Manöver
halten, aber es war der erste kleine Schritt zu weiteren
Entwicklungen. Wehret den Anfängen!, hatte Hermann gesagt.
Martin hatte einen Pakt mit einer Macht geschlossen, die unheimlicher
und auch rätselhafter war als jene, der Rachel diente. Aus
seiner Sicht äfften die Leute der speziellen UN-Einsatzgruppe
die Aktionen seiner Auftraggeber nur in kleinerem Maßstab nach
– in der Hoffnung, ihnen

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