Singularität
Füllung verloren hatte. Auf dem Tisch vor
ihm stand ein in Silber gefasstes Teeglas, halb mit einer braunen
Flüssigkeit gefüllt, die ganz bestimmt kein Tee war, wenn
Rachel nicht alles täuschte. Als sie eintrat, schlug er die
Augen auf und sah sie an, sagte jedoch nichts.
»Du solltest in deiner Kabine sein«, bemerkte Rachel.
»Die Offiziersmesse ist im Vakuum kein sicherer Ort, weißt
du.«
»Wen kümmert’s?« Er rollte leicht mit der
Schulter, als sei ein Achselzucken schon zu viel der Mühe.
»Ich weiß wirklich nicht, warum das wichtig sein
sollte.«
»Ich schon.« Sie marschierte zu ihm hinüber und
baute sich vor ihm auf. »Du kannst in deine Kabine gehen oder
auch mit zu meiner kommen. Jedenfalls wirst du in fünf Minuten
in irgendeiner Kabine sein!«
»Kann mich nicht daran erinnern, dass ich einen…
Arbeitsvertrag mit dir abgeschlossen hätte«, murmelte
er.
»Nein, hast du auch nicht«, erwiderte sie munter.
»Ich sag dir das ja auch nicht in meiner Eigenschaft als
Auftraggeberin, sondern als Vertreterin deiner Regierung.«
»Hüah«, Rachel zerrte ihn hoch. »Aber ich hab
doch gar keine Re-gie-rung.« Mit gequälter Miene stand
Martin vom Lehnstuhl auf und geriet ins Schwanken.
»Die Neue Republik scheint das aber anzunehmen, und ich bin
die beste Regierung, die du in dieser Gegend finden wirst. Es sei
denn, du bevorzugst das alternative Angebot?!«
Martin verzog das Gesicht. »Wohl kaum.« Er taumelte.
»Hab noch ein paar Vier-Drei-Eins in der linken Tasche. Glaub,
ich brauch sie.« Während er umherstolperte, fischte er das
kleine Päckchen mit Klebepflastern heraus, die dem Alkohol
entgegenwirkende Substanzen enthielten. »Kein Grund,
gehässig zu werden.«
»Ich bin keineswegs gehässig geworden, sondern hab dich
lediglich mit einem Bezugsrahmen versorgt, damit du den Ausgangspunkt
besser einschätzen kannst. Zu deinem eigenen Besten.
Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass wir zwei ja
aufeinander aufpassen wollten. Und ich würde meinen Job
verfehlen, wenn ich dich nicht herausholen und in eine Kabine
schaffen würde, ehe dich jemand bemerkt. Trunkenheit wird hier
mit Prügel bestraft, ist dir das klar?« Rachel fasste ihn
am Ellbogen und lenkte ihn behutsam zur Tür. Martin war so
wackelig auf den Beinen, dass sich dieser Versuch als interessante
Erfahrung entpuppte. Zwar war Rachel groß und hatte für
eben solche Gelegenheiten Muskelverstärker implantiert, aber er
hatte drei Vorteile auf seiner Seite: Körpermasse, Schwungkraft
und einen niedrig liegenden Schwerpunkt. Gemeinsam torkelten sie wie
Betrunkene auf die Tür zu, bis Martin es schaffte, das
Drogenpflaster auf einer Handfläche anzubringen, und Rachel sie
beide zum Korridor steuerte.
Als sie endlich Rachels Kabine erreicht hatten, atmete er heftig
und sah blass um die Nase aus. »Hinein!«, befahl sie.
»Ich fühl mich wie Scheiße«, murmelte er.
»Hast du Trinkwasser da?«
»Jawoll.« Sie schloss die Luke hinter ihnen und drehte
das Sicherungsrad herum. »Das Waschbecken ist da drüben, du
hast ja sicher schon mal eins gesehen.«
»Ich muss dir wohl danken.« Er drehte die Hähne
auf, spritzte sich Wasser ins Gesicht und füllte den
Zahnputzbecher, um einen Schluck Wasser nach dem anderen
hinunterzustürzen. »Verdammte Dehydration durch den
Alkohol.« Er richtete sich auf. »Sicher denkst du, ich
hätte mehr Grips haben sollen, als mich zu besaufen,
stimmt’s?«
»Der Gedanke kam mir kurz«, erwiderte sie trocken,
verschränkte die Arme und beobachtete ihn.
Nachdem er sich wie eine durchnässte Wasserratte
geschüttelt hatte, ließ er sich schwer auf Rachels
ordentlich gemachtes Bett fallen. »Ich musste einige Dinge
unbedingt vergessen«, sagte er ärgerlich. »Vielleicht
lag es mir allzu sehr auf der Seele. So etwas passiert mir nicht
allzu oft, aber, na ja, wenn ich eingesperrt bin und nur mein eigener
Kopf mir Gesellschaft leistet, tut mir das nicht gut. Alles, was ich
hier derzeit zu sehen bekomme, sind Kabelführungen und
Änderungspläne. Plus ein paar naive junge
Offiziersanwärter beim Mittagessen. Und dieser Spitzel vom
Büro des Kurators hängt die ganze Zeit herum, behält
mich im Auge und belauscht alles, was ich sage. Ich komm mir vor wie
in irgendeinem widerwärtigen Knast.«
Rachel zog den Klappstuhl heran und setzte sich. »Dann bist
du sicher noch nie in einem Knast gewesen. Sei froh.«
Seine Lippen zuckten. »Aber du schon, wie? Madame
Regierungsvertreterin.«
»Ja. Ich hab einmal acht
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