Sinnliche Maskerade
Sie standen vor einem großen, zweiflügeligen Anwesen, dessen Fenster größtenteils verriegelt waren.
»Es sieht unbewohnt aus.«
»Das ist es größtenteils auch. Hier wohnen nur mein Onkel, sein Kammerdiener Louis, Pater Cosgrove und eine Handvoll
Diener. Bradley empfängt keinen Besuch. Tatsächlich hält er sich die meiste Zeit des Tages ausschließlich in seinem Zimmer auf.« Perry hob den Messingklopfer an und ließ ihn lärmend auf das Messingschild krachen.
Schließlich öffnete ein livrierter Gentleman mit gepuderter Perücke.
»Guten Tag, Master Peregrine, Sir.« Er verbeugte sich. Sein Blick flackerte über Perrys Begleitung, schwankte aber nicht, und er schien auch nicht überrascht.
»Empfängt mein Onkel, Louis?«
»Im Moment ist er allein. Ich will mich erkundigen, Sir. Wenn Sie und der ... äh ... der junge Gentleman sich in das Vorzimmer bemühen wollen ...«
»Danke.« Mit Alexandra im Schlepptau trat Peregrine in die Halle.
Es handelte sich um einen großen, dämmrigen und von Säulen getragenen Bereich aus Marmor und Vergoldungen. Mit unverhohlener Neugierde blickte Alex sich um, während sie dem gemessenen Schritt des Dieners die breite geschnitzte Treppe zu einem viereckigen Absatz hinauf folgte. Louis öffnete eine Doppeltür und durchschritt einen weiteren dämmrigen Raum, der mit Mobiliar und Kunstgegenständen vollgestopft war, und öffnete auf der anderen Seite des Raumes wieder eine Doppeltür. Er trat hindurch und schloss die Tür sanft hinter sich.
»Was für ein außergewöhnlicher Ort.« Alexandra ließ den Blick schweifen. Jede Oberfläche war mit Objekten zugestellt, größtenteils merkwürdige Stücke aus dem Ausland. Sie fing an, die Stücke näher zu untersuchen, und warf Peregrine staunende Blicke zu, während er sie schelmisch grinsend beobachtete.
»Erstaunlich, nicht wahr?«
»Kaum zu glauben, dass so etwas überhaupt möglich ist.« Sie beugte sich vor, um eine kupferne Urne eingehender zu betrachten. In dem Fuß der Urne waren zahlreiche Gestalten abgebildet, die alle in irgendeiner Form sexuell miteinander verkehrten. »Wie schaffen sie es nur, ihre Körper derart zu verbiegen?«
»Der Viscount sagt, dass Inder und Japaner für ihre blühende Erfindungsgabe berühmt sind, wenn es gilt, die üblichen Stellungen zu variieren«, unterrichtete er sie mit gespielter Ernsthaftigkeit. Er ging zu einem verglasten Bücherschrank hinüber und drehte den kleinen Goldschlüssel im Schloss um. »Komm, schau dir das an. Mein Onkel ist überzeugt, dass es auf der ganzen Welt keine weitere Ausgabe gibt.«
Alex stand neben ihm, als er ehrfürchtig einen dicken, in Kalbsleder gebundenen Folianten herausnahm. Er legte den Band auf den Tisch und schlug ihn auf.
»In welcher Sprache ist es geschrieben?« Sie schaute auf die Seite.
»Sanskrit, sagt mein Onkel. Er behauptet, es sei ein Handbuch über die Kunst der sexuellen Handlungen. Ich nehme an, dass er es aus einem Tempel gestohlen hat. Die Sprache verstehe ich nicht, aber manche Illustrationen sprechen auch für sich selbst.«
Fasziniert bestaunte Alexandra das Buch und blätterte die Seiten vorsichtig um.
»Es ist wunderschön. Aber auch ein bisschen schockierend.«
»Nein, eigentlich nicht, verglichen mit den Obszönitäten, die an den Buden auf der Piazza zu bewundern sind«, erwiderte Perry, »hier gibt es keinerlei obszöne Darstellungen. Es ist genau, wie du sagst, nämlich ausgesprochen köstlich.«
»Wie heißt es denn?«
Er versuchte, sich zu erinnern.
»Irgendwas mit Kama... Kamasutra, ja, genau so heißt es. Aber dieses Exemplar ist das einzige auf der Welt, wenn man meinem Onkel trauen darf.« Er drehte sich um, als die Türen geöffnet wurden und Louis geräuschlos ins Vorzimmer schlüpfte. »Will mein Onkel uns empfangen, Louis?«
»Für ein paar Minuten, Sir. Er wünscht den Namen Ihrer Begleitung zu erfahren.«
»Mistress Player.«
Louis verbeugte sich und ging zurück in das andere Zimmer. Ein paar Sekunden später trat er wieder heraus und hielt die Türen offen.
»Seine Lordschaft wünscht Sie jetzt zu empfangen, Master Peregrine.«
Peregrine ging Alexandra ein paar Schritte voran, denn er wollte sie schützen, wenn die Aufmerksamkeit seines Onkels das erste Mal aufloderte. Viscount Bradley saß am Kaminfeuer und hatte sich trotz der stickigen Luft in der überhitzten Kammer zusätzlich in ein Fell gehüllt. Die Samtvorhänge vor den Fenstern waren fest zugezogen und blockierten jegliche
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