Sinnliche Maskerade
Hauch des Herbstes lag in der Luft. Der Weg bog fort von der Küste und wand sich zwischen hohen Brombeerhecken einen ziemlich steilen Hügel hinunter. Genau wie der Bursche es angekündigt hatte, gelangte er zum Reitweg, und sobald er Sam auf den Weg gelenkt hatte, erblickte er das Haus, das ein wenig von der Klippe abgerückt war.
Er ritt durch die steinernen Torpfosten und eine gepflegte Auffahrt hinauf. Eine Gruppe junger Mädchen lief kichernd über die Auffahrt, an den Armen Körbe, aus denen Brombeeren quollen; die jüngsten waren noch Kinder. Durch die Früchte, die sie während ihres Spaziergangs genascht hatten, waren ihre Münder verfärbt. Die Mädchen blieben stehen und starrten den Fremden an.
Peregrine zog den Hut und verbeugte sich.
»Guten Tag, Ladys. Ich hatte gehofft, mit Mistress Simmons sprechen zu dürfen.«
Das größte Mädchen besann sich als Erste wieder.
»Amelia, lauf ins Haus und sag Mistress Simmons, dass Besuch da ist«, befahl sie. Eines der jüngeren drehte sich um und rannte so hastig die Auffahrt zum Haus hinauf, dass ihr die Beeren aus dem Korb sprangen.
»Danke.« Peregrine verbeugte sich noch einmal, bevor er sich den Hut wieder aufsetzte und langsam zum Haus hinaufritt, damit dem Kind Zeit blieb, vor seinem Besuch zu warnen. Insgeheim fragte er sich, ob Alexandra jemals brombeerpflückend durch die Landschaft gestreift war und sich den Mund violett genascht hatte. Oder hatte sie es vorgezogen, sich drinnen in die Bücher zu vergraben? Die Überlegung zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen, und in seinem Brustkorb machte sich ein warmes Gefühl breit.
Die Tür stand offen. Als er aus dem Sattel stieg, tauchte eine Frau aus dem Haus auf. Ihr blassgraues Kleid war schlicht, der Stoff aber gut, und das Haar hatte sie sich zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt. Sie hob die Lorgnette und musterte den Besucher, der auf sie zuschritt, mit sorgfältigem Blick.
Peregrine verbeugte sich tief.
»Habe ich die Ehre, mit Mistress Simmons zu sprechen?«
»Ja, das haben Sie«, erwiderte die Frau ruhig.
»Der Honorable Peregrine Sullivan, stets zu Diensten, Ma’am.« Irgendetwas hatte die Frau an sich, was ihn an Alexandra erinnerte. Diesen scharfen Blick, die Ausstrahlung einer Person, die Unanständigkeiten nicht duldete und keine halben Sachen machte.
»In der Tat, Sir. Und welchen Umständen habe ich das Vergnügen zu verdanken?«
Peregrine kam ohne Umschweife zur Sache, zumal die Frau solches Verhalten zu ermutigen schien.
»Kürzlich habe ich die Bekanntschaft von Mistress Alexandra Hathaway gemacht, Ma’am. Ich glaube, sie ist hier zur Schule gegangen.«
Die Verwirrung, die ihr über das Gesicht huschte, bestätigte seine lang gehegte Vermutung. Hathaway war nicht Alexandras richtiger Name. Aber so schnell diese Verwirrung gekommen war, so schnell verschwand sie auch wieder.
»Ja, das stimmt«, antwortete Mistress Simmons schlicht, »aber das liegt schon viele Monate zurück. Sie hat uns verlassen, um eine Anstellung zu suchen.«
»Als Bibliothekarin, soweit ich weiß.«
Seit ihr Schützling das Konvikt verlassen hatte, hatte Helene sich nur äußerst selten mit Alex ausgetauscht. Ihre anfängliche Unruhe hatte sich in eine tiefe Grübelei darüber gewandelt, ob die stets impulsive und hitzköpfige Alexandra sich wohl in irgendwelche Verrücktheiten verrannt hatte. Und auch jetzt war ihr erster Gedanke wieder gewesen, dass Alexandra bestimmt in Schwierigkeiten steckte.
»Über die Anstellung der Lady bin ich nicht unterrichtet«, erwiderte sie vorsichtig, »ich habe keine Ahnung, was aus Mistress Alexandra geworden ist, seit sie nicht mehr unter dem Dach meines Hauses wohnt.«
»Verstehe.« Peregrine runzelte die Stirn. »Verzeihen Sie, Ma’am. Ich suche nur nach der Bestätigung, dass Mistress Hathaway über ausreichend Kenntnisse verfügt, ihren Pflichten als Bibliothekarin nachzukommen, bei denen sie einige äußerst seltene und kostbare Bände katalogisieren soll.«
Helene atmete ein wenig freier. Die Arbeit als Bibliothekarin war ausgesprochen respektabel, was ganz besonders für die junge Alexandra galt. Nur ... warum hatte sie sich einen anderen Namen zugelegt?
»Das hat sie ganz bestimmt, Mr. Sullivan. Alexandra war eine sehr fähige Schülerin. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich eine Schülerin wie sie nie zuvor erlebt habe.«
»Das glaube ich gern«, sagte Perry, »ich auch nicht.«
»Wie bitte?«
Er schüttelte den Kopf und lachte
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