Sinnliche Maskerade
Blick.
»Das stimmt, und ich sollte öfter daran denken. Wenn nur der Honorable Peregrine nicht wäre! Dann hätte die Sache gar keinen Haken.«
»Warum genießt du seine Gesellschaft nicht einfach, wenn du ihr schon nicht ausweichen kannst?«, schlug Sylvia vor, wie sie es mehr oder weniger offen schon den ganzen Tag lang getan hatte.
Alex ließ sich nicht darauf ein, streifte sich das Lederwams über und betrachtete sich im Spiegel.
»Diese Verkleidung ist so unendlich viel bequemer als die andere.«
»Ja, aber es ist auch viel schwieriger, nicht aus der Rolle fallen«, betonte ihre Schwester. »Mit Abstand betrachtet, müsstest du durchkommen, aber einem wirklich prüfenden Blick kannst du nicht standhalten.«
»Stimmt. Du hast recht, wie immer.« Alex umarmte ihre Schwester ein letztes Mal. »Ich versuche, dich wieder zu besuchen, meine Liebe. Würdest du Helene eine kurze Nachricht von mir schicken? Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr nicht mehr richtig geschrieben habe, seit ich nach Combe Abbey gegangen bin. Einerseits möchte ich sie nicht anlügen, andererseits kann ich ihr unmöglich die Wahrheit sagen.«
»Und was soll ich ihr schreiben?«
»Einfach nur, dass du von mir gehört hast und dass alles in Ordnung ist. Ich schicke ihr liebe Grüße.«
Sylvia nickte.
»Ja, das mache ich.« Sie warf einen Blick aus dem Fenster. »Wenn du zum Dinner im Angel sein willst, musst du jetzt los. Du brauchst Zeit, um dich noch mal zu verkleiden.«
Alex verzog das Gesicht, widersprach aber nicht. Peregrine, so erinnerte sie sich, hatte darauf bestanden, mit ihr zu dinieren. Womit er wahrscheinlich ihr wahres Ich gemeint hatte, wie sie annahm; aber sie würde ihn enttäuschen müssen. Zu oft war sie in den Straßen von Lymington gesehen worden, als sie noch im Konvikt gelebt hatte, und durfte nicht riskieren, mit ihrem wahren Ich in einem der größten Hotels der Stadt erspäht zu werden.
Sylvia trat mit ihr vor das Haus und schaute zu, wie ihre Schwester das Pony sattelte. Sie reichte Alex ein in Seide gewickeltes Päckchen mit einem blauen Band.
»Du darfst es aber erst in London aufmachen, Liebes«, sagte sie und lächelte, als Alex sie fragend anschaute. »Versprochen?«
Alex nickte.
»Versprochen. Was ist drin?«
»Abwarten«, erwiderte Sylvia und lächelte undurchschaubar.
Alex verstaute das Päckchen am Sattel und ritt fort. Matty winkte aus der Küchentür, Sylvia stand am hinteren Gatter und sah plötzlich verloren und zerbrechlich aus, als sie sich das Tuch fest um die Schultern zog. Alex schluckte die Tränen hinunter und galoppierte den Hügel hinauf auf die Heide. Sie ritt schnell zurück in die Stadt, gab das Pony im Mietstall ab und ging die High Street hinauf ins Angel.
Peregrine stand in der Tür und hielt nach ihr Ausschau, wie er es schon seit einer Stunde tat. Als sie das Gasthaus erreichte, trat er vor.
»Warten Sie hier, ich sorge dafür, dass niemand in der Nähe ist.« Er eilte in die Halle zurück. Die Tür zur Gaststube war nur angelehnt; Stimmen drangen von drinnen nach draußen, aber weder in der Halle noch auf der Treppe war jemand zu sehen. Als er Alex zuwinkte, stand er direkt vor der Tür zur Gaststube und versperrte den Blick in die Halle.
Alex sprang nach vorn und rannte die Treppe hinauf. Ihr Herz pochte wie verrückt, als sie den Schlüssel in das Schloss ihrer Kammer fummelte. Geräuschlos öffnete sie die Tür, schlüpfte in das Zimmer und schloss hinter sich ab. Mit einem raschen
Blick vergewisserte sie sich, dass dank Peregrine nichts durcheinandergeraten war. Wieder einmal verfluchte sie sich, dass sie so sorglos gewesen war, dem Wirt ihre Abwesenheit nicht zu erklären. Denn wenn sie richtig informiert war, besaß der Wirt einen zweiten Schlüssel, den er sehr wohl hätte benutzen können, wenn er irgendeinen Verdacht geschöpft hätte.
Nun, es ist aber nichts passiert, beschwichtigte sie sich, warum also schimpfst du immer noch auf dich? Rasch zog sie sich aus, faltete ihre Kostümierung zusammen und verstaute sie zusammen mit Sylvias Seidenpäckchen unten in ihrem Handkoffer. Zögernd fing sie an, sich wieder Mistress Hathaways schäbige Kleider anzuziehen. Das Rückenkissen konnte sie weglassen, weil sie es am Abend zuvor auch nicht getragen hatte; aber mit ihrem Gesicht war das nicht möglich. Sie starrte ihr Spiegelbild an. Worauf konnte sie verzichten?
Wenn sie vielleicht nur den Leberfleck unter dem rechten Wangenknochen dunkel
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