Sinnliche Stunden mit dir
in seinen Augen
lesen.
Andrea
wusste nicht, wie sie ihre eigenen Gefühle einschätzen
sollte. Wahrscheinlich sollte sie erst einmal ausschlafen, dann würde
alles ganz anders aussehen. Sie schlug die Bettdecke zurück, und
erst jetzt fiel ihr auf, dass sie weder einen Schlafanzug noch ein
Nachthemd hatte. Während sie noch im Schrank nach etwas
Passendem suchte, hörte sie Schritte auf dem Flur, gefolgt von
einem kurzen Klopfen.
Sie
öffnete die Tür. Jackson stand vor ihr und hielt ihr ein
weißes Hemd entgegen. "Ich dachte, du könntest das
vielleicht gebrauchen", sagte er leise.
Wie
nett. "Danke." Gerade als sie ihm das Hemd aus der Hand
nehmen wollte, klingelte ihr Handy, das sie in die Tasche des
Bademantels gesteckt hatte. Sie fuhr ängstlich zusammen. "Das
könnte Nick sein. Moment noch, bitte."
Leider
war es nur ihr Stiefvater Lance Hegerty. "Wo bist du denn,
Andrea? Bei dir zu Hause nimmt keiner ab. Wo ist mein Sohn?"
Das
Letzte hatte er mit Absicht gesagt, um sie daran zu erinnern, dass
Nick nur ihr Halbbruder war. Sie mochte Nick ganz allein aufgezogen
haben, aber in den Augen des Gesetzes hatte sie trotzdem weniger
Rechte als Lance, Nicks biologischer Vater.
"Was
soll dieser Anruf? Es ist schon spät." Andrea musste sich
sehr zusammennehmen, damit man ihrer Stimme nicht anhörte, wie
nervös sie war.
"Du
hast meine Frage noch nicht beantwortet."
Sie
spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Schnell drehte
sie Jackson den Rücken zu, damit er nicht sah, wie ihr zu Mute
war. "Ich habe noch zwei Wochen." Nur noch vierzehn Tage,
dann war die Frist abgelaufen. Dann fiel sein Sorgerecht, das Andrea
so erfolgreich angefochten hatte, wieder an Lance Hegerty zurück.
Er
lachte böse. "Wie auch immer du es anstellst, ob du
nachgibst oder dich wehrst, ich werde letzten Endes doch gewinnen.
Das solltest du nie vergessen und auch nicht, dass du nur das
Zufallsprodukt eines reichen Mannes bist. Mein Sohn hat etwas
Besseres verdient als jemand wie dich."
Sie
beendete abrupt das Gespräch, die Finger zitterten ihr. Lance
wusste genau, wie er sie fertig machen konnte.
Jackson
stand hinter ihr, und sie konnte die Wärme spüren, die von
seinem Körper ausging. Wie gern hätte sie ihm alles
erzählt, aber nach dem entmutigenden Gespräch mit Lance
hätte sie sich auch das nicht mehr getraut. Auch Jackson war ein
einflussreicher und mächtiger Mann. Vielleicht würde er
deshalb eher für Lance Partei ergreifen. Im Grunde wusste sie
überhaupt nicht mehr, was sie denken oder glauben sollte. Sie
wusste nur eins: Niemals durfte Lance Nick in die Finger bekommen.
Plötzlich
kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Wenn er ihn nun einfach entführte?
Sie musste sich sofort mit dem Camp in Verbindung setzen und die
Leute da warnen.
Sie
drehte sich zu Jackson um, und bei seinem Anblick überkam sie
wieder die Sehnsucht nach Sicherheit und nach einem verlässlichen
Menschen, dem sie sich anvertrauen konnte.
Jackson
blickte sie fragend an, dann zuckte er leicht mit den Schultern,
drehte sich um und ging. Sie blickte ihm hinterher, und wegen der
Panik, die sie bei Lance' Anruf überfallen hatte, sehnte sie
sich besonders danach, sich an Jacksons breiten, kräftigen
Rücken zu schmiegen. Jackson schien momentan der einzige ruhende
Pol in ihrem Leben zu sein.
Sie
schloss mit zitternden Händen die Tür und rief sofort das
Camp an. Die arme Betreuerin wurde geradewegs aus dem Tiefschlaf
gerissen. Andrea beschwor sie nachzusehen, ob Nick auch in seinem
Bett lag. Dann ließ sie sie schwören, den Jungen an
niemanden außer ihr, Andrea Reid, zu übergeben. Am
liebsten hätte sie Nick sofort abgeholt, aber der Junge hatte
sich so sehr auf das Camp gefreut, dass sie es nicht übers Herz
brachte, ihm den Spaß vorzeitig zu verderben.
Allmählich
beruhigte sie sich etwas. Sie zog sich Jacksons Hemd über, das
ihr fast bis zu den Knien reichte. Die Ärmel musste sie ein paar
Mal umkrempeln, um die Hände frei zu bekommen. Aber irgendwie
war es tröstlich, Jacksons Hemd zu tragen. Schnell kroch sie ins
Bett. Sie war todmüde und sehnte sich nach Schlaf.
Doch
dann überfiel sie Panik, als sie daran dachte, was mit Nick
werden würde, und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ihr Kopf
dröhnte, und sie setzte sich auf und presste die Hände an
die Schläfen. Vielleicht würde es helfen, wenn sie sich
doch Jackson anvertraute? Warum sollte er sich auch auf Lance' Seite
stellen? Sicher, auch er war es gewohnt zu befehlen und
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