Sinnliches Erwachen
wenn es nach mir geht, wirst du das auch niemals.“ In einem sanften Würgegriff legte er den Arm um ihren Hals – sanft, aber nichtsdestotrotz ein Würgegriff. Diese Art von Beziehung war für ihn genauso neu wie für sie, und plötzlich musste sie ein Lächeln niederkämpfen.
„Erzähl mir was von dir“, bat sie. „Irgendwas, was du noch nie jemandem erzählt hast.“
Es entstand eine lange Pause. Er schluckte schwer. „Als Kind habe ich in ständiger Angst gelebt. Meine Mutter hat mich gehasst, und mein Vater hat mich … misshandelt.“
„Oh Koldo. Das tut mir so leid.“ Hatte sein Vater ihm die Narben zugefügt?
„Nie wusste ich, welche entsetzlichen Dinge mir als Nächstes widerfahren würden, nur, dass sie mir auf jeden Fall widerfahren würden.“
Kein Wunder, dass er so kämpferisch war, so distanziert – so verletzlich und unsicher. Er hatte sich eine harte Schale aufgebaut, im verzweifelten Versuch, ein zerbrechliches Herz zu schützen, auf dem genau jene Menschen herumgetrampelt hatten, die ihn am meisten hätten lieben sollen. Menschen, die ihn stattdessen mit ihren Misshandlungen von sich gestoßen hatten.
Mit den Fingerspitzen strich sie über seinen Waschbrettbauch und wünschte, das Hemd würde sich in Luft auflösen, bevor sie sich direkt darauf für diesen Wunsch schalt.
„Frag mich etwas“, bot er an. „Egal was. Ich mag es, dir Dinge zu erzählen.“
Einen Moment lang überlegte sie. „Warum warst du so aufgewühlt, als wir nach dieser Versammlung gestern telefoniert haben?“
„Ich hatte gerade erfahren, dass ein Mann, den ich sehr geliebt habe, getötet wurde.“
„Oh Koldo“, sagte sie noch einmal. Einen Schicksalsschlag nach dem anderen hatte er hinnehmen müssen, und dieses Wissen machte sie traurig.
Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und küsste ihre Knöchel. Dann strich er mit ihren Fingern über seine Wangen, über seinen Kiefer, wo sein Bart ihre Haut kitzelte, bevor er noch einmal ihre Knöchel küsste. „Es ist eine Strafe, die ich verdient habe.“ Aus seinen Worten troff dieselbe Scham und Schuld, die sie manchmal in seinen Augen sah.
„Ich werde jetzt etwas sagen, und ich will nicht, dass du beleidigt bist, in Ordnung?“
„In Ordnung“, antwortete er zögerlich.
„Das ist das Lächerlichste, was ich je gehört habe! Du hast es nicht verdient, einen Freund zu verlieren.“
Ein winziges bisschen Anspannung fiel von ihm ab. „Ich war nicht immer der Mann, den du kennst.“
„Und ich war nicht immer das Mädchen, das du kennst.“
Er schüttelte den Kopf. „Du warst schon immer liebevoll, gütig und mitfühlend, basta.“
Nein. Er kannte nicht die ganze Wahrheit – dass sie und Laila einmal geplant hatten, den Mann zu ermorden, der für den Tod ihrer Eltern und ihres Bruders verantwortlich war. Und sie würde bis in alle Ewigkeit dankbar dafür sein, dass dieser Plan gescheitert war. Ein Moment des Zorns hätte den gesamten Verlauf ihres Lebens verändert, und zwar nicht zum Besseren.
Doch alles, was sie zu Koldo sagte, war: „Da liegst du falsch.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf die Brust. Es gab keinen Anlass, diesen Augenblick zu ruinieren. „Und merkst du, wie großartig ich bin, dass ich dir das sage, ganz wie du vorhin meintest?“
„Großartig. Ja.“
In seiner Stimme hatte keine Spur von Sarkasmus gelegen. Wundervoller Mann. „Sillach“, warf sie ein, als ihr einfiel, wie Koldo das Wort einmal ihr gegenüber benutzt hatte.
Er verstummte.
Mit der Fingerspitze zeichnete sie ein Kreuz über dem kräftigen, stetigen Schlag seines Herzens. „Was bedeutet das?“
„Innehalten und über das Gesagte nachdenken.“
Soso. Vielleicht würde sie dieses Wort von jetzt an allem anhängen, was sie sagte. „Also, nachdem wir jetzt unseren Seelenstriptease hatten und ich dich mit meiner atemberaubenden Intelligenz überwältigt habe, was würdest du gern für den Rest unseres Dates machen?“
„Ruhen. Für das, was ich morgen mit dir vorhabe, wirst du es nötig haben.“
22. KAPITEL
Zum allerersten Mal in seinem Leben verbrachte Koldo die Nacht im Bett mit einer Frau. Seiner Frau. Etwas, wonach er sich gesehnt hatte. Bloß dass er sich in Wirklichkeit danach sehnte, Nicola auszuziehen, sich selbst auszuziehen, sie zu küssen, mit ihr zu schlafen, noch mal mit ihr zu schlafen – und vielleicht noch einmal – und dann in einen tiefen Schlummer zu sinken. Um dann aufzuwachen und noch mal mit ihr zu schlafen. Doch
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