Sinnliches Erwachen
wusste sie schon längst; es wurde Zeit, damit aufzuhören, ständig unabsichtlich seine Ehrenhaftigkeit infrage zu stellen. Mochte sein, dass er so oder so in ihrer Nähe bleiben würde, aber sie wollte, dass er dabei genauso zufrieden war, wie er es von ihr verlangte. „Warum willst du überhaupt jemandem wie mir etwas beibringen?“ Nicola könnte ihm nichts dafür zurückgeben. „Und was willst du mir beibringen? Ich dachte, ich soll nur diese Sache mit Ruhe, Frieden und Freude hinbekommen.“
Mit abgewandtem Blick erklärte er: „Vielleicht weiß ich, was es bedeutet, eine Tragödie nach der anderen zu erleben, während man sich verzweifelt nach Hoffnung sehnt, aber nirgends welche entdeckt.“ Für einen langen Moment betrachtete er ihre Schwester. „Ich bete nur, dass Laila sich als genauso bereitwillig erweist wie du.“
„Würde ihr das helfen? Würde sie dann länger als nur ein paar Wochen überleben?“ Ein Wispern. Ein verzweifeltes Krächzen.
„Ganz ehrlich? Darauf kennt nur sie die Antwort. Ich kann ihr beibringen, was ich dir beibringen werde – und nein, jetzt noch keine Details. Du stehst unter Medikamenteneinfluss und wirst das Wichtigste wieder vergessen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit sie sich ruhig, friedlich und fröhlich fühlt.“ In seinen Augen flackerte Zweifel auf, gefolgt von … Zorn? Er schüttelte den Kopf und fügte hinzu: „Aber wird sie auf mich hören?“
Würde sie das? Laila, so stur, so starrköpfig, würde diskutieren, bis ihr die Luft ausging. Laila, die die einzigartige Fähigkeit besaß, egal wen jederzeit vollkommen auszublenden. Nicola liebte sie, aber sie war sich der Fehler ihrer Schwester schmerzlich bewusst.
„Was du uns beibringst, was wir fühlen – das wird uns helfen, gesund zu werden?“, vergewisserte sie sich.
„Ja. Ich habe schon Leprakranke heilen sehen. Ich habe die Lahmen tanzen und die Blinden ihr Augenlicht zurückbekommen sehen.“
„Dann werde ich sie dazu bringen, auf dich zu hören.“ Entschlossenheit strömte durch sie hindurch, vermischt mit einer schwindelerregenden Portion Aufregung. Über die Jahre war sie von Hunderten von Ärzten untersucht worden. Tausende Tests waren gemacht worden. Millionen von Prozeduren und Operationen hatte sie ertragen. Die Prognose war immer dieselbe gewesen.
Tut uns leid, Miss Lane, aber es gibt nichts, was wir tun können.
Jetzt gab es auch für Laila Hoffnung.
Koldos Gesichtsausdruck wurde weicher, als er sie ansah. Irgendwie schien er sogar stolz auf sie zu sein. „Der einzige Weg zum sicheren Scheitern ist, von vornherein aufzugeben, Nicola Lane. Du gibst nicht so schnell auf, das sehe ich.“
Ein Kompliment von einem so unverblümten Mann war süßer als jede Liebeserklärung von einem Charmeur.
„Nicola?“
Beim Klang der Stimme ihrer Schwester zuckte Nicola zusammen. Einer Stimme, die rau und gebrochen klang, aber nichtsdestotrotz unfassbar wundervoll. „Laila! Du bist wach!“
Koldo trat zurück, aus dem Weg, und Nicolas Blick landete auf ihrer Schwester. Als Erstes bemerkte sie, dass der Affe nicht zurückgekehrt war. Dann sah sie das Strahlen, das von Laila ausging.
Obwohl ihre Züge identisch waren, war Laila irgendwie immer die Hübsche vonihnen gewesen. Die Charismatische. Immer hatten die Leute sich ihr zugewandt, hatten wie gebannt an ihren Lippen gehangen.
Selbst Nicola, die Ernste, die nie bereit war, ein Risiko einzugehen, war von ihr bezaubert gewesen.
„Ich hab Durst“, murmelte Laila. Sie lag immer noch auf der Seite, den Kopf auf das Kissen gebettet, aber jetzt öffneten und schlossen sich ihre Lider mehrmals hintereinander, als kämpfte sie darum, wach zu bleiben. „Wasser wär jetzt echt super.“
Nicola sah zu Koldo auf. „Holst du ihr …“
Doch er war nicht mehr da.
Laila runzelte die Stirn, die Augen endlich vollständig geöffnet, und fragte: „Wo ist der Arzt hin?“
Arzt? Tja, der Titel steht Koldo ganz gut, dachte Nicola. „Ich wünschte, ich wüsste es.“
8. KAPITEL
Schon heute würde Laila nach Hause kommen, viel früher als irgendwer erwartet hatte!
Nicola konnte ihre Aufregung kaum im Zaum halten, während sie im Büro herumwerkelte und alle Akten und Belege zusammensuchte, die sie brauchte. Nicht einmal die Tatsache, dass Jamila und Sirena die miesesten Kolleginnen aller Zeiten waren und Nicola genauso viel zu tun hatte wie vor ihrer Ankunft, konnte ihre gute Laune dämpfen. Die dringendsten Aufgaben könnte sie
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