Sinnliches Erwachen
Wuuusch.
Wieder drehte er sich um. Soeben waren auch Zacharel, Axel und Malcolm gelandet. Malcolms Bruder Magnus war der einzige Fehlende aus dem „inneren Zirkel“, wie Thane einmal die Krieger genannt hatte, auf die Zacharel sich am meisten verließ.
„Es werden keine Menschen verletzt“, ordnete Zacharel an. Es waren dieselben fünf Worte, die er vor jeder Schlacht sagte. Traurigerweise war die ständige Wiederholung notwendig. Obwohl Menschen nicht in der Lage waren, Gesandte zu sehen oder die Berührung ihrer Waffen wahrzunehmen – solange die Krieger sich nicht absichtlich in der natürlichen Welt manifestierten.
Doch in der Vergangenheit hatten sich einige Krieger manifestiert, ungeachtet derKollateralschäden, einzig darauf bedacht, ihre Gegner um jeden Preis umzubringen.
Was würde geschehen, wenn einer der Krieger Nicola verletzte?
Nur für den Fall, dass irgendjemand mit dem Gedanken spielte, Zacharels Anweisungen in den Wind zu schießen, hörte Koldo sich hinzufügen: „Wenn heute auch nur eine Frau verletzt wird, werde ich dem Schuldigen persönlich den Kopf abreißen. Und ich werde mir Zeit lassen dabei. Und kommt erst gar nicht auf die Idee, dass mich die Angst vor Konsequenzen davon abhalten könnte.“
Sechs Augenpaare wandten sich ihm ruckartig zu, einige verwirrt geweitet, andere aggressiv verengt. Er dachte gar nicht erst daran, kostbare Sekunden mit Erklärungen zu verschwenden, und marschierte in das Gebäude – direkt durch die Mauern, statt sich mit der Tür aufzuhalten. Menschen verschiedenster Herkunft und Größe spazierten durch das Foyer und die Flure. Männer wie Frauen jeden Alters von achtzehn bis siebzig, wie es aussah.
Manche waren belagert von Dämonen, wie Nicola es gewesen war. Die Kreaturen versuchten , sich in ihrem Innern einzunisten.
Für die Krieger war das ein Festmahl der Versuchungen, das wusste er. Auch er kämpfte bereits gegen den Drang, sich zu materialisieren und alles und jeden niederzumetzeln, der ihm im Weg stand. Ruhig. Den Kopf bewahren.
Koldo durchsuchte das gesamte Gebäude, doch nirgends war eine Spur von Nicola zu entdecken. Ihr Büro war leer. Und in ihrem Kalender standen keine Termine für heute.
„Was machst du da? Warum durchwühlst du Nicolas Sachen?“, erklang hinter ihm eine herrische Frauenstimme.
Er erkannte die Sprecherin und wandte sich langsam um, bis er der Frau gegenüberstand, die gemeinsam mit seiner Mutter in der Hölle gefangen gewesen war. Der Frau, die er gerettet und von Todes Schwelle zurückgeholt hatte.
Der Frau, die ihm dafür bis jetzt noch nicht gedankt hatte und stattdessen schnurstracks zu Zacharel gerannt war, um auszuplaudern, dass Koldo eine andere Gesandte eingesperrt hatte.
Einstmals eine Glücksbotin, war sie nun eine Kriegerin. Eine von Zacharels Kriegerinnen, um genau zu sein. Jamila . Arabisch für „die Schöne“. Und das war sie. Sie war wunderschön und schwer fassbar, dabei aber genauso beißend wie er. Sie waren wie zwei Klingen, die einander ununterbrochen in Streifen schnitten.
„Du kennst Nicola Lane? Wo ist sie?“, fragte er fordernd. Zorn … Eine tiefe, entsetzliche Rage braute sich in seinem Innern zusammen und drohte hervorzubrechen. Wenn ihr etwas passiert war, dann würde er … was? Hier alles in Schutt und Asche legen? Möglicherweise. Er war noch immer nicht in der Lage, sich um die Folgen zu scheren.
Beruhig dich. Hol dir zuerst deine Antworten.
„Sie ist nach Hause gegangen.“ Jamila hob das Kinn, ein deutliches Zeichen ihrer Verärgerung. „Jetzt bist du dran mit Antworten. Was machst du hier?“
Wenn sie zu Hause war, befand sie sich in Sicherheit. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, entgegnete er und entspannte sich ein wenig.
„Aber du bist nicht an der Reihe.“
„Und?“
„Und.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn wütend an. „Zacharel hat mir aufgetragen, ihm zu berichten, was Nicola bei Estellä so erlebt. Ich habe versucht, in der Anderswelt zu bleiben und sie von dort aus zu beobachten, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie meine Anwesenheit gespürt hat. Sie hat sich jedes Mal verspannt, wenn ich in ihre Nähe gekommen bin.“
Nicola war immer verspannt. Aber daran würden sie arbeiten.
„Da hab ich beschlossen, es mal in der natürlichen Welt zu versuchen“, schloss Jamila.
„Warum will Zacharel, dass du Nicola hinterherspionierst?“
„Dafür hat er mir keine Erklärung genannt, und es hat mich auch nicht
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