Sinnliches Erwachen
Haarsträhne ab, bis er ihre Kopfhaut komplett glatt rasiert hatte.
Der Klang einer schreienden Frau, der Anblick, wie sie sich zur Wehr setzte, rief so viele grauenhafte Erinnerungen in ihm wach. Doch selbst als er die Augen schloss und den Kopf schüttelte, ließen die Bilder ihn nicht los.
Ich habe nie aufgehört, der Mann zu sein, zu dem mein Vater mich gemacht hat, begriff er. Und das würde er auch niemals.
16. KAPITEL
„Himmelsgesandte, Co-Co. Himmelsgesandte“, wisperte Laila, als Nicola sie zudeckte.
„Ich weiß.“
„Dämonen, Co-Co. Dämonen.“
„Ich weiß, Liebes. Aber wir müssen keine Angst vor ihnen haben, und Koldo hat mir versichert, dass sie uns nichts tun können.“ Und jetzt, nach dem, was sie im Park erlebt hatte, kannte ihr Vertrauen ins Team Gut keine Grenzen.
„Wie konnte ich keine Ahnung haben, dass die da draußen sind? Warum konnte ich sie nicht sehen?“
„Deine Augen waren verschlossen. Jetzt sind sie geöffnet.“
„Ich … ich … ich bin mir nicht sicher, ob ich damit klarkomme.“
Nicola erinnerte sich zurück an eine Zeit, als sie noch klein gewesen waren und Laila sie zugedeckt hatte, nachdem sie ihr erstes Monster gesehen hatte. Wie sanft und geduldig und gütig ihre Zwillingsschwester gewesen war. „Du warst schon immer die Stärkere von uns beiden. Du findest schon einen Weg.“
Ihr schwaches, humorloses Lachen hinterließ einen traurigen Nachgeschmack. „Das hast du immer geglaubt. Du hast immer gedacht, ich wäre stark. Aber Co-Co, in Wahrheit warst du das. Immer nur du.“ Laila steckte sich die Stöpsel des iPods in die Ohren, den Nicola ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Monatelang hatte sie gespart und alles zusammengekratzt, um sich ein so winziges Stück Technik leisten zu können.
Seufzend drückte Nicola ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange und ließ sie sich ausruhen. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, erkundete sie Koldos Haus. Immer aufs Neue erfasste sie tiefes Staunen, und sie fühlte sich, als sei sie in einem Märchen gelandet statt in einem Dritte-Welt-Land. Das Haus selbst war aus Pinienholz und roch warm und sauber, doch was sie wirklich sprachlos machte, waren die Möbel.
Es gab samtene Sofas und Sessel, mit feinem Schnitzwerk verzierte Tische. Glasfiguren und Schalen voller Diamanten, Saphire, Rubine und Smaragde, die so groß waren wie ihre Faust. An den Wänden hingen gewebte Gemälde, und dicke Teppiche lagen auf dem Boden. Und das war bloß das Wohnzimmer!
Koldo war wirklich steinreich.
In der Küche glänzten goldgeäderte marmorne Arbeitsflächen, kupferne Töpfe und Pfannen hingen von einem echtsilbernen Gestell herab, und ein riesiger Kühlschrank fügte sich unauffällig in die Holzfronten der Schränke ein. Nirgends lag etwas herum. Nicht ein Staubkörnchen war auf der Platte des handgeschnitzten Esstischs zu entdecken.
Es gab vier Schlafzimmer. Laila hatte sich das neben der Küche ausgesucht, während Nicola das am anderen Ende des Flurs gewählt hatte. Mitten im Raum stand ein monströs großes Doppelbett, um dessen Gestell sich zarte rosa Spitze rankte. Rosa? Spitze? Im Haus eines Kriegers?
Hatte hier eine Frau die Inneneinrichtung übernommen?
Nicola biss sich in die Wange und kämpfte einen Anfall von Eifersucht nieder. Die Tagesdecke war von einem helleren Rosa, aber nicht weniger leuchtend. Dies musste das Zimmer sein, das Koldo für sie vorgesehen hatte, denn am Fußende lag sorgsam zusammengefaltet die Decke, die ihre Mutter noch wenige Wochen vor dem Unfall genäht hatte.
An der Decke drehte sich langsam ein mit Edelsteinen besetzter Ventilator. Über alle vier Wände erstreckte sich ein Fresko des Himmelreichs mit einer strahlendenSonne in der rechten oberen Ecke, die Wolken aller Formen und Größen beschien.
Links war ein riesiges Panoramafenster, das den Blick auf einen üppigen Orangenhain freigab. Und hinter den saftigen grünen Blättern und den prallen Früchten erhoben sich mehrere Berge und sogar ein Vulkan, aus dem dicker Rauch emporstieg. Es gab drei atemberaubende Teiche, in denen Fische lebten, die immer wieder hochsprangen und die Oberfläche durchbrachen.
Überwältigt von all der Schönheit, stand Nicola schweigend da und sah zu, wie am Horizont die Sonne unterging und den Himmel in Rot und Pink tauchte, ein perfekter Kontrast zu dem tiefen Blau und Grün der sanft wogenden Landschaft. Vögel sangen.
Wie lange würde Koldo sie hierbehalten wollen? Sie hatte
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