Sintflut (German Edition)
Onkel. Das Brot hat seine Frau heute frisch gebacken und die Melone stammt von den Feldern seines Bruders. Hier in der Walachei sind alle Bauern, und alle fürchten den EU-Beitritt, der ihre kleine Existenz vernichten wird. Nur die Großen werden überleben, die Kleinen werden arbeitslos. Einen Kilometer von hier ist das Dorf, in dem der Alte wohnt. Es gibt keinen Gasthof, aber es gibt eine Werkstatt, die morgen früh wieder aufmacht. Ich werde dann den Reifen dorthin bringen. Aber für die Nacht bleiben wir besser hier draußen und im Auto.«
Wir trinken den Wein und teilen das Brot und die Melone. Alles schmeckt so wie immer und doch ganz anders. Der Wein ist würziger, die Melone süßer, das Brot frischer. Als ob die fremde Luft den Geschmack verändert. Wie oft haben Max und ich diesen sagenhaft guten und trotzdem billigen Landwein aus Italien oder Frankreich mitgebracht, der dann zu Hause nur noch nach Essig schmeckte. Max und ich. Mir kommen gleich die Tränen.
Ich drehe mir eine Zigarette. Die Grillen zirpen. Es ist ein warmer Sommerabend. Der Wein tut seine Wirkung. Warum Heimweh haben? Warum sich blöd vorkommen? Warum nicht dem Wind zuhören, der in den Blättern der Bäume raschelt? Oder Akan, der immer gesprächiger wird und gerade den Harz mit den Ostkarpaten vergleicht. Der mich zum Lachen bringt und dessen sonderbarer Geruch mir ab und zu in die Nase steigt. Irgendwann werde ich müde und mache es mir auf meinem Sitz bequem. Dann schlafe ich ein.
12
Am nächsten Morgen fühle ich mich wie eine Magnolienblüte, die ein später Frost erwischt hat. Gestern noch schneeweiß und voller Leben, heute matt und der Schwerkraft schutzlos ausgeliefert.
Akan ist wach und raucht. Er reicht mir eine Zigarette. Ich nehme sie, zünde sie aber nicht an. Ich rauche nie morgens. Ich möchte einen Becher Kaffee und ein Croissant. Es soll knusprig sein und der Kaffee heiß und süß. Der Gedanke an dieses einfache, aber ferne Vergnügen macht mich wütend. Ich zünde dann doch Akans Zigarette an und werfe sie nach dem ersten Zug aus dem Fenster. Das ist sonst nicht meine Art, aber diese Zigarette hat es nicht anders verdient.
Akan lacht. »Du setzt das Maisfeld noch in Flammen. Es hat seit Wochen nicht geregnet.«
»Ich hasse Maisfelder«, gebe ich zurück, »und hier gibt es eindeutig zu viele davon. Wie soll es jetzt weitergehen?«
»Ich habe den Ersatzreifen schon in die Werkstatt gebracht. Es dauert eine Weile, bis er repariert ist und ich wollte dich nicht so lange alleine lassen. Ein Mann bringt ihn dann hierher und wir wechseln das Rad.«
Tatsächlich kommt dieser Mann schon nach einer halben Stunde, ein kleiner Kerl in einem ölverschmierten Mechanikeranzug. Wahrscheinlich hätte er den zweiten Reifen auch noch gerne repariert, aber Akan entscheidet sich für die sofortige Weiterfahrt. Er hat die Idee, eventuelle Verfolger abzuhängen, offenbar aufgegeben und kehrt zur Hauptstraße zurück.
Obwohl es nur eine zweispurige Straße ist, fließt der Verkehr gut. Alle fahren konzentriert und vernünftig. Es gibt viele Lastwagen, aber wir überholen sie, denn der Gegenverkehr ist schon von Weitem sichtbar. Akan muss nur aufpassen, nicht zu schnell zu fahren, denn in beinahe jedem Dorf steht ein Polizist, der Autos anhält und zur Kasse bittet. Fahrer auf der Gegenseite warnen mit Lichthupe, gutmütige Trucker machen Handzeichen oder fahren zur Straßenmitte hin, wenn sie eine Kontrolle erspähen und merken, dass wir überholen wollen.
Die Walachei, das sind Alleen, Felder, Straßendörfer, zähe alte Frauen mit zerfurchten Gesichtern und bunten Kopftüchern, die mittags im Schatten auf einer Bank sitzen. Die Bank steht vor einem Zaun, der Zaun umschließt ein Haus. Vom Haus sieht man nicht viel. Jeder Zaun hat ein Holztor, das aber meist offen steht. Jede Bank, jedes Tor und jeder Zaun sind anders gestaltet und angestrichen, aber die Grundidee wiederholt sich in jedem Dorf.
Durch die Holztore spazieren Enten und Gänse, junge Leute verkaufen Obst und Gemüse am Straßenrand. Zwischen den Dörfern wachsen Mais und Sonnenblumen. Wo rechts oder links eine Nebenstraße einmündet, erkennt man an den Alleebäumen, die wie grüne Wände in die sonst baumlose Ebene gesetzt sind.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Konstanza. Anfangs ist es nur eine weitere triste Plattenbaustadt, doch dann fahren wir immer häufiger durch Straßen mit Gründerzeitvillen und freundlichen Grünanlagen. Es gibt Trolleybusse
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