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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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nördlicher Richtung weiter, die dann kurz vor der ukrainischen Grenze einfach aufhört. Ob mich das zu Paula bringt? Keine Ahnung. Heute ist mein Ziel Slobozia, und das ist mir einfach zu wenig. Ich werde also noch hier bleiben und das tun, was ich gelernt habe: herumschnüffeln. Fleischmann hat mir für Konstanza einen Tipp gegeben. Falls ich auf der Suche nach Paula hier vorbeikäme, solle ich mir die Steinzeitsammlung im Geschichtsmuseum anschauen, da würde ich einiges besser verstehen.
    Nach einigen Umwegen habe ich das Museum gefunden. Es bildet die Stirnseite eines großen Platzes. Überall sonst klaffen Abrisslücken zwischen den Häuserreihen, nur dieser pompöse Kasten sieht so aus, als würde er die nächsten 1000 Jahre überstehen. Die lichtdurchflutete Eingangshalle verspricht mehr, als die düsteren Ausstellungsräume halten. Trübes Licht reduziert die Farben der Exponate auf ein diffuses Einheitsgrau. Nur eine große Landkarte wird von einem Scheinwerfer hell angestrahlt. Sie zeigt, wo in Rumänien Steinzeitkulturen gelebt haben. Auch die Hamangia-Kultur ist dabei. Der Denker und seine Frau kleben als Foto über dem Ort Dunareni. Das ist ein kleines Dorf an der Donau, gar nicht weit von hier.
    Jedes Museum hat mindestens eine Überraschung zu bieten, das beobachte ich schon länger. Die heutige Überraschung befindet sich in einer besonders dunklen Ecke, und im ersten Moment glaube ich nicht, was ich sehe. Ich sehe den Denker und seine Frau. Da sitzen sie in einer Vitrine, allerdings fleckiger, poröser, angegriffener als die Originale. Originale? An der Vitrine steht zu lesen, dass es sich um Nachbildungen handelt.
    Wenn es mein Museum wäre, würde ich auch ein Schild mit der Aufschrift Kopie zum Original stellen. Nun kann sich aber jeder halbwegs schlaue Einbrecher genau das denken und würde deshalb die Kopie stehlen. Das wiederum legt nahe, die Kopie auch als Kopie auszuweisen und das Original als Original. Wenn man aber noch mal um die Ecke denkt, und noch mal und noch mal … es ist wie bei dem Spiel, wo der Stein in den Brunnen fällt, das Papier den Brunnen abdeckt, der Stein die Schere stumpf macht und die Schere das Papier schneidet. Man denkt, was der Gegner denken könnte, was man selber denkt, um dann das Gegenteil davon zu machen, was sich der Gegner aber denken kann, weshalb man schließlich das Gegenteil vom Gegenteil vom Gegenteil macht und nach vielem Hin und Her trotzdem verliert. Paula beherrscht dieses Spiel meisterhaft.
    Der Denker und seine Frau gehören zu den wertvollsten Besitztümern Rumäniens. Das Schild mit der Aufschrift Kopie steht vor dem Paar hier in Konstanza. Ich denke, das stimmt nicht. Das Bukarester Paar war glatt und perfekt, man konnte kaum glauben, es sei älter als 100 Jahre, während dies hier sehr alt aussieht. Andererseits gibt es viele Wege, neue Sachen alt und alte Sachen neu aussehen zu lassen. Aber so denkt wahrscheinlich auch ein Dieb, und das heißt … bevor ich zu einem Ergebnis kommen kann, unterbricht ein Geräusch die vollkommene Stille, die mich die ganze Zeit umgeben hat.
    Ein Mann und eine Frau sind zur Tür hereingekommen. Sie gehen auf eine Vitrine im vorderen Teil des Raumes zu. Der Mann redet auf die Frau ein. Es sind Fleischmann und Anna Lenz. Obwohl sie nicht spricht und mir den Rücken zudreht, erkenne ich doch die blonden Haare und das elegante Kostüm wieder. Dazu trägt sie Turnschuhe, aber das darf man ja heute.
    Ich hätte mir nun wirklich denken können, dass Fleischmann ihr die Sammlung zeigen wird. Dümmer geht’s nicht, würde Paula sagen und völlig zu Recht. Fleischmann gestikuliert mit den Armen und stößt dabei einen Tonkrug um. Es scheppert ziemlich laut, ein Museumsangestellter erwacht zum Leben und läuft auf die beiden zu. Es ist nichts passiert, aber der Angestellte schimpft trotzdem, und zwar auf Rumänisch. Zu meiner Überraschung antwortet Fleischmann in der gleichen Sprache. Der Angestellte scheint nicht begeistert von seinem Ton, denn er klingt jetzt noch ärgerlicher und bugsiert die beiden zur Tür hinaus. Das war knapp. Ich bleibe noch eine Weile stehen, gehe dann nach draußen und lasse mich erleichtert ins Auto fallen.
    Trotz des Zwischenfalls bin ich noch nicht bereit, nach Slobozia zu fahren. Außerdem kann ich vorgegebene Fahrtrouten nicht ausstehen. Und was mein Treffen mit Paula angeht: Sie entscheidet, nicht ich. Eilig scheint sie es jedenfalls nicht zu haben, mich zu sehen. Ich soll mich auf den

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