Sintflut (German Edition)
aufmachen. Also gut, komme, was da kommen muss. Auf die Erklärung, die ich gleich abgeben werde, bin ich selber gespannt.
»Hallo Paula«, grüßt Fleischmann, »wie schön dich zu sehen. Deine Schwester …« Dann stutzt er. Dann erkennt er mich. Dann zwinkert er mir zu und fährt sich unauffällig mit dem Zeigefinger über den Mund. Ein Problem weniger.
»Hallo Martin, wie geht’s?« Weiter komme ich nicht. Einer der Männer im Leinenanzug hat sich schräg hinter Goppel aufgebaut, tritt nun einen Schritt vor und schneidet mir das Wort ab.
»Frau Petrus, ich bin Helmut Elchtaler von Open End , das Magazin für Macher und Märkte. Wann sagen Sie uns etwas zu dem Schatz am Schwarzen Meer, wann dürfen wir einen Blick auf die kostbaren …«
Jetzt hat sich auch Anna Lenz zu uns vorgearbeitet. Sie stellt sich neben Fleischmann, der sie hingerissen anstarrt. Aber Anna merkt es nicht, denn sie starrt mich an. Stundenlang hat sie neben mir im Flugzeug gesessen und ist auf meine Hausfrauennummer reingefallen. Statt mich auszufragen und ihre Reportage fertig zu haben, während die Kollegen noch auf ihren Bleistiften rumkauen. Die Chance ihres Lebens. Verpasst.
»Die Arbeiten am Schwarzen Meer sind noch nicht abgeschlossen«, erkläre ich ruhig. Kein Lampenfieber, kein Frosch im Hals. Meine neue Rolle erfüllt mich mit einer Sicherheit, die ich nicht mehr hatte, seit ich mein erstes eigenes Dienstzimmer zugeteilt bekam. ›Nun hast du es geschafft‹, dachte ich damals, ohne schon zu wissen, dass Sicherheit und Polizeiarbeit sich ausschließen. Polizisten sind nicht sicher, sie sollen nur Sicherheit vermitteln. Und das ist ein Riesenunterschied.
»Es ist noch zu früh für eine Präsentation, meine Damen und Herren«, fahre ich fort. So ähnlich habe ich das früher auch immer formuliert, wenn etwas passiert war und wir viel zu früh eine Pressekonferenz einberufen mussten. »Tut mir leid, aber wir sind dazu verpflichtet, unsere Ergebnisse abzusichern, bevor wir an die Öffentlichkeit gehen. Denken Sie doch nur mal an das sibirische Fischorakel zurück.«
Der Hinweis auf das sibirische Fischorakel scheint Erinnerungen zu wecken, denn auf Elchtalers glatter Stirn bilden sich zwei Falten und zwei Kolleginnen in der zweiten Reihe fangen an zu kichern. Die Sache mit dem Fischorakel begann mit einer Ausstellung über das geheimnisvolle Volk der Khuza. Verschiedene Objekte wurden gezeigt. Besonders das Fischorakel war in allen Zeitungen zu sehen. Nach und nach stellte sich heraus: Das Volk der Khuza war eine freie Erfindung, ausgedacht von einem Archäologen und einem Mediziner, denen es nur um eins gegangen war: eine Sensation zu inszenieren und im Mittelpunkt zu stehen. »Wenn ich je so werden sollte, erschieß mich«, stöhnte Paula, als ich ihr davon erzählte.
Alle wirken etwas betreten und ich entschuldige mich für einen Moment. Der Kreis um mich herum öffnet sich und ich gehe entschlossen Richtung Damentoilette. Als ich mich kurz umschaue, sehe ich, wie Anna den armen Fleischmann zur Seite stößt und mir nacheilt. Dabei stolpert sie und fällt hin. Das lenkt vorübergehend alle Blicke auf sie. So kann ich unbemerkt hinter einer Topfpflanze verschwinden. An der Wand dahinter entdecke ich eine Tapetentür. Bis heute habe ich geglaubt, die gäbe es nur in alten Spielfilmen, doch diese hier ist echt. Jeder kann ins Interconti gehen und das nachprüfen, falls der erste Stock nicht inzwischen renoviert wurde. Ich öffne die Tür und verschwinde in dem winzigen Raum dahinter. Es ist eng, muffig und dunkel, aber ich kann in Ruhe überlegen, wie es nun weiter gehen soll.
Aus der Ruhe wird nichts, denn noch jemand kommt rein und sagt: »pschscht«. Ein internationales Sprachzeichen, das jeder versteht. Dann sagt die Stimme »16« und »Dach«. Das versteht niemand außer mir. Der Satz lautet: »Lukas und Jim bahnten sich einen Weg durch das Gedränge und stiegen auf das Dach ihrer Lokomotive.« Dach ist das 16. Wort, die Zählung beginnt bei null. Das Wort kann wechseln, der Satz ändert sich nie. Es ist ein Zeichen von Paula.
Ich atme auf. Paula schickt mir einen Boten, so wie früher, als wir noch Kinder waren. Ich hielt mit einem spannenden Buch Wache in unserem Baumhaus, während sie mit anderen die Gegend erkundete. Wollte sie mir eine Nachricht zuspielen, schickte sie jemand. Der Bote nannte eine Zahl und das passende Wort aus dem Satz, erst dann war die Nachricht auch wirklich von Paula. Es gab zwar sonst
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