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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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ich es ihm in Erlangen zeigte, behielt das aber für sich. Ich taste kurz danach, doch dann lasse ich es in der Jackentasche stecken.
    Dietzendorfs oder besser Birguls Bild ist ein relativ grober Farbausdruck. Irgendwo muss es die passende Datei dazu geben, doch wie ist Dietzendorf dazu gekommen? Nur eins ist sicher: Fleischmann hat mein Foto eingescannt, als ich bei ihm in Marburg war. Angeblich, um es Kollegen zu zeigen. Vielleicht kannte er Hans Dietzendorf. Oder er hat die Datei ins Internet gestellt und Dietzendorf hat sie dort zufällig gefunden.
    Jedenfalls ist auf Birguls Ausdruck dieselbe Figur zu sehen wie auf meinem Polaroid, aufgenommen vor demselben Hintergrund: eine Wiese in der Sonne, rechts im Bild eine Birke neben einer Wand aus Holz, im Hintergrund Tannen. Die Figur sitzt auf einem Sockel, dessen obere Kante gerade noch sichtbar ist. Alles genau wie bei mir. Ich sehe keinen Unterschied, aber andererseits geht mir nicht aus dem Kopf, wie eingehend Dietzendorf mein Foto damals angeschaut hat. Obwohl er es schon kannte. Andererseits mache ich es ja jetzt genauso: Ich betrachte ein Foto, das ich tausendmal gesehen habe und suche nach einem Unterschied, obwohl es wahrscheinlich keinen gibt.
    »Erinnert vom Stil her an den Hamangia-Denker«, sage ich zu Birgul und reiche ihm das Blatt zurück. »Wo hatte Dietzendorf das her?«
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß nur«, erklärt Birgul und deutet auf das Foto, »es wurde im Gebirge gemacht, weit weg von Dunareni. Und Hans ist im Gebirge umgekommen. Wir aber sind in Slobozia, wo Sie sich heute mit jemand treffen wollten, der Ihnen ein Hotel genannt hat, das es nicht gibt. Und Slobozia …«
    »… ist weder an der Donau noch im Gebirge. Aber Sie hatten versprochen, keine Fragen zu stellen.«
    »Nur noch eine Frage: Wenn Sie das Foto schon früher gekannt hätten, wären sie dann trotzdem nach Dunareni gefahren?«
    »Ja und nein«, antworte ich vage. »Die Donau ist einfach zu wichtig. An ihr kommt sozusagen keiner vorbei. Sie war eine Lebensader, auch in den Nachbarländern. Wer an ihren Ufern sucht, hat gute Aussicht auf Erfolg.«
    »Aber wer etwas findet, muss vorsichtig sein. Ceaucescu ist zwar weg, aber Rumänien ist pleite und die Regierung korrupt. Die Grabungsstätte bei Dunareni – es gibt nicht mal ein Hinweisschild. In der Schweiz hätten wir ein Freilichtmuseum gebaut, aber hier verkommt alles. Und das nicht, weil kein Geld da ist. Es ist welches da, aber es wird für andere Dinge ausgegeben. Einheitliche Fahrkarten für Busse und Bahnen, sie haben es ja vorhin selbst gehört.«
    »Vielleicht ist der Antiquitätenhandel wirklich besser als sein Ruf. Wozu die Regeln einhalten, wenn es andere auch nicht tun? Fast bin ich erleichtert, noch nichts gefunden zu haben, denn solange bekomme ich auch keine Schwierigkeiten.«
    »So sind Sie also gar nicht weiter als Hans Dietzendorf«, seufzt Birgul, »bevor man ihn … bevor er den Unfall hatte.«
    »Glauben Sie etwa nicht an einen Unfall?«, frage ich unbehaglich.
    »In Rumänien passiert viel. Nicht alles davon wäre auch in der Schweiz oder in Deutschland passiert. Wir sollten jedoch besser von etwas anderem reden, bevor wir schlafen gehen«, antwortet er salomonisch und scheint wieder ganz der Alte zu sein. Wir erzählen uns noch ein paar harmlose Gutenachtgeschichten, dann verschwindet jeder auf seinem Zimmer. Ich habe genug Wein intus, um trotz Dietzendorfs Tod bis zum Morgen durchzuschlafen.
     

14
    Für die meisten Probleme gibt es eine Lösung. Ich habe mich immer geweigert, etwas anderes zu glauben. Für mich ist die Frage: »Was tun?« lebenswichtig, sie gibt mir die Kontrolle zurück. Nicht über den Lauf der Dinge, sondern über meine Ängste und meine natürliche Trägheit. Der Balzac’sche Kater in mir will in der Southfork-Ranch bleiben, nur zum Essen rauskommen und abends mit Birgul alte Spielfilme anschauen. Sein Gegenspieler schafft es, den Koffer zu packen, und aus dem Auto die Landkarte mitzubringen. Ich will mir die Bleistiftlinie noch mal genauer ansehen.
    Schon als Kind liebte ich Landkarten. Wie nichts sonst regten sie eine Art inneren Film an. Ich folgte mit dem Finger den Verläufen von Flüssen, Tälern und Bergen. Dabei überlegte ich, wie es wohl dort aussah und wie das Wetter sein könnte. Manchmal konnte ich hören, wie der Wind um den Gipfel des Mount Everest pfiff oder die Ruder eines Schilfbootes in den Titicaca-See klatschten.
    In Erinnerung daran gibt es jetzt

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