Sintflut (German Edition)
Ich trinke einen Schluck Wein und drehe mir eine Zigarette, zünde sie an und inhaliere tief. Birgul sieht nicht, wie meine Hände zittern, weil er immer noch auf den Bildschirm starrt und mit dem Kopf schüttelt, obwohl schon längst eine andere Nachricht verlesen wird.
Dietzendorf wollte sofort wieder nach Rumänien. Als ich ihm in Erlangen die Aufnahme zeigte, sagte er, er hätte Paula unterschätzt und sie an der falschen Stelle gesucht. Gestorben ist er in der Provinz Neamt, aber die liegt in den Bergen, das war im Fernsehen deutlich zu sehen. Dort könnte mein Keramikmann fotografiert worden sein. Ich habe es die ganze Zeit vor Augen gehabt, aber erst jetzt wird mir klar: Paula ist nicht an der Donau, sondern irgendwo in den Karpaten, so, wie es das Foto schon immer vermuten ließ.
Hat Dietzendorf sie allein aufgrund meines Fotos gefunden oder hatte er noch andere Hinweise? Wenn ja, von wem? Und haben sie ihn unschädlich gemacht, weil er zu viel wusste? Akan selbst hat ›unschädlich machen‹ gesagt. Hat er damit gemeint, Dietzendorf zu ermorden? Ich weiß nicht, wozu Akan fähig ist, aber Paula würde niemals so weit gehen. Nicht für alle Schätze der Welt.
Birgul sitzt reglos neben mir. Er zuckt zusammen, als ich meine Hand auf seine Schulter lege und ihn frage, was mit ihm los ist.
»Ich habe den Mann gekannt. Ein verrückter Kerl, trieb sich überall herum. War so was wie ein Hobbyforscher, nannte sich aber Journalist. Ein Kojote, der unter dem Küchentisch der Wissenschaft auf einen Wurstzipfel wartete, aber meistens leer ausging. Dann suchte er sich ein ruhiges Plätzchen und träumte so intensiv von der ganzen Wurst, bis er glaubte, er hätte sie tatsächlich bekommen. Und machte eine Story daraus. Aber was für eine! Kennen Sie sein Buch über das Grab Alexanders? Er suchte zwei Jahre danach. Dann behauptete er, es sei in Mexiko. In Mexiko! Wie sollte Alexander da wohl hingekommen sein? Er konnte mir eine Gänsehaut über den Rücken jagen mit seinen Geschichten, aber er konnte mich auch zum Lachen bringen. Und er wird mir fehlen.«
»Ich kenne einige seiner Artikel«, erkläre ich nach einer Weile etwas lahm. Max brachte sie mir am Tag nach Dietzendorfs Besuch mit, aber ich habe kaum einen davon gelesen. Es war kurz vor der Abreise und ich fand keine Ruhe mehr dazu, später vergaß ich es dann.
»Hans war der Erste, der auf Ihre Forschungen hier in Rumänien aufmerksam wurde. Darüber bin ich bestens informiert, Frau Petrus. Im Grunde brauchen Sie mir auch nicht zu erzählen, was Sie in dieses schöne Land führt, denn ich weiß es bereits.« Birgul schaut mich treuherzig an, und das bringt mich noch mehr in Verlegenheit.
»Was ich hier suche, ist kein Geheimnis. Steht alles in meinem Projektantrag, falls es Sie interessiert«, erwidere ich kratzbürstig. »Dietzendorf hatte die gleichen Fragen wie ich. Es ging ihm um die neolithische Revolution. Der Ausdruck Revolution ist eigentlich irreführend, aber für Rumänien stimmt er ausnahmsweise. Normalerweise dauerte der Übergang zur Sesshaftigkeit Jahrhunderte, doch hier ging alles sehr schnell. Plötzlich gab es Bauern, plötzlich gab es Künstler, plötzlich gab es Geschäftsleute und Händler. Man vermutet, das waren Einwanderer. Aber woher kamen sie?«
»Endlich«, seufzt Birgul, »hinterfragt man das alles. Das ist in erster Linie Forscherinnen wie Ihnen zu verdanken. Aber auch Männern wie Hans Dietzendorf. Oder meinem Freund Bob, der mit seinem U-Boot die Schwarzmeerküste absucht.«
»War auch Hans Dietzendorf Ihr Freund?«
»Ja. Hans war mein Freund. Ob ich auch seiner war, kann ich nicht sagen. Er war sehr zugeknöpft, was das anging. Aber er kam immer wieder zu mir, da bin ich ihm vielleicht doch nicht ganz gleichgültig gewesen. Vor etwa einem Monat zeigte er mir ein Foto, das mich schließlich dazu brachte, nach Rumänien zu reisen, um mich umzuhören. Und dann hatte ich das Glück, gleich einem der wenigen Menschen über den Weg zu laufen, der mir vielleicht erklären kann, was es mit diesem Foto auf sich hat.«
Er holt ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche, faltet es auseinander und reicht es mir. Es ist der Keramikmann. Wie gerne hätte ich jetzt mein Polaroidfoto heraus geholt und einen kleinen Scherz gemacht: über zwei gleiche Bilder, die zwei verschiedene Menschen in dasselbe Hotel geführt haben. Aber noch traue ich Birgul nicht, trotz aller Sympathie. So wie Dietzendorf mir nicht traute. Er kannte mein Foto, als
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