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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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aller Lasten klettert er flink wie ein Sumoringer über Stock und Stein, zuletzt über die dicke Baumwurzel, auf der ich mich niedergelassen habe. Als er dann vor mir steht, sehe ich aber doch die Anstrengung in seinem Gesicht, das von Schweißperlen bedeckt ist. Seinen schwarzen Anzug bedeckt eine Staubschicht.
    »Sie haben mich versetzt, meine Liebe«, sagt er ohne Umschweife. »Ich musste ohne Sie frühstücken. Der Kaffee war lauwarm, das Brötchen war zäh und die Butter geschmolzen. Das sind zu viele Enttäuschungen. Dabei hatte ich mich so auf das Frühstück gefreut.«
    »Ich musste leider fliehen«, erkläre ich. »Nicht vor Ihnen, sondern vor den Journalisten. Jetzt dachte ich gerade, ich hätte alle Verfolger abgehängt, und da kommen Sie daher. Aber ich frage Sie gar nicht erst, was Sie hier machen. Sie würden es mir ohnehin nicht verraten.«
    »Nein und nein. Ich verrate nichts und Sie fragen nicht. Angenommen, ich zeige Ihnen etwas, dann würden Sie in meiner Schuld stehen und müssten mir auch etwas zeigen. Und das werden Sie doch nicht tun, oder? Aber was soll’s, es gibt von meiner Seite aus ohnehin nichts zu verheimlichen. Ein Junge, der für mich die Augen offen hält, ließ mir eine Nachricht zukommen. Doch es war nichts. Nur Ihre geschätzte Anwesenheit bringt meiner primitiven Suchmethode einen unerwarteten Erfolg.«
    »Sie sind mir also nicht hinterher gefahren?«
    »Ich schwöre, dass ich Ihnen nun schon zum zweiten Mal zufällig begegne. Aber ich vermute, unser Zusammentreffen ist bedeutsamer, als ich zuerst dachte. Wenn vorgestern Abend Reporter die Rezeption belagern und nach Paula Petrus fragen, dann erfahre ich das natürlich. Was aber ist an der attraktiven Dame so interessant? Und wo ist sie hin? Da sitzt sie nun am Ufer der Donau, schaut sinnend in die Ferne und ausgerechnet ich dicker alter Mann finde sie. Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie hier machen?«
    »Ich pilgere nur. Mir ist, als würde ich die Heimat von sehr engen, lange verstorbenen Verwandten besuchen.« Birgul schweigt. Also frage ich: »Wie sind Sie denn hierher gekommen? Haben Sie ein Auto?«
    »Bis Cernavoda mit der Eisenbahn, dann mit dem Taxi. Birgul Schmitzig fährt niemals selber. Sein Bauch duldet kein Lenkrad, das sich in ihn hinein drückt. Aber Sie sind mit einem Auto hier, denn wem soll das Gefährt da vorne sonst gehören? Ich bin übrigens der geduldigste Beifahrer, den Sie sich wünschen können. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie.«
    »Aber nur, wenn Sie versprechen, mich nicht auszufragen. Dann kann ich mich nicht auf den Verkehr konzentrieren und fahre noch gegen einen Baum.«
    In Cernavoda will Birgul nicht zum Bahnhof gebracht werden, sondern mit mir bis nach Slobozia fahren. Da er nicht fragt, wieso ich da hin will, nehme ich ihn mit. Seine Gesellschaft ist mir angenehm, und wozu muss ich immer alleine sein? Gegen Birgul spricht nur Paulas Versteckspielerei. Aber er ist kein Journalist, und von Kunsthändlern, die ihr Projekt gefährden, war bisher nicht die Rede.
    Hinter Cernavoda fahren wir auf ein Autobahnstück, das nach wenigen Kilometern in eine zweispurige Allee übergeht. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Slobozia. Nachdem wir alle Zufahrtsstraßen abgesucht haben, wissen wir: Ein Hotel namens Paradis gibt es nicht und hat es nie gegeben, wie uns ein Tankwart versichert, der hauptberuflich bei der Stadtverwaltung arbeitet.
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragt Birgul mit müder Stimme. »Ich bin zwar dick, aber ich habe schrecklichen Hunger. Meine Körperzellen brüllen nach Nahrung. Sie wollen Süßes, sie wollen Fettes, sie wollen Kaffee und Alkohol. Dann erst hören sie auf, mich zu quälen und ich kann zufrieden ins Bett gehen.«
    »Wo darf ich Sie denn hier absetzen?«
    »Absetzen? Heißt das, Sie wollen jetzt noch weiterfahren? Es wird in weniger als einer Stunde dunkel sein. Kein Mensch fährt hier ohne Not nachts Auto. Nur Lastwagen donnern die Straße entlang. Viele haben kein Licht und fahren schnell. Wenn Sie einen Unfall haben, wird kein Mensch anhalten, weil jeder denkt, Sie sind ein Räuber, der alles nur vortäuscht. Seien Sie vernünftig und lassen Sie sich von Birgul Schmitzig zu einem wunderbaren Abendessen einladen.«
    Sein Vorschlag hat was für sich. Das Motel Paradis ist unauffindbar. Wo ich hin soll, weiß ich nicht. Eine Fahrtroute habe ich zwar, aber sozusagen keinen Anhaltspunkt. Und was kann ich dafür, wenn Akan zwar gut aussieht, aber zu blöd ist, um

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