Sintflut (German Edition)
genaue Angaben zu machen? Ich bin in Slobozia, er nicht. Nicht mal das Hotel gibt es. Und morgen ist auch noch ein Tag. Wenn Paula es nicht eilig hat und Akan alles vermasselt, wieso soll ich mir dann Stress machen? Außerdem bin ich ebenso hungrig wie Birgul und werde erst wieder klar denken können, wenn ich was gegessen habe.
Wir fahren eine halbe Stunde, dann biegen wir auf Birguls Geheiß von der Hauptstraße ab. Der Weg führt zu einem See, und an dem See liegt eine Ranch. Southfork steht über der Einfahrt und ich denke an alte Zeiten. Die Ranch war die Heimat der Ewings aus der amerikanischen Fernsehserie Dallas , ein großer Erfolg, sogar in Rumänien.
Larry Hagman kam zur Einweihung der rumänischen Southfork-Ranch. 300.000 Dollar soll er dafür bekommen haben, erzählt Birgul. »Die Rumänen lieben Dallas, besonders den bösen J.R. Es hätte sie glücklich gemacht, wenn er ein wenig bei ihnen geblieben wäre, aber er reiste gleich nach dem Fototermin wieder ab. Dabei hatten sie extra einen Ochsen geschlachtet. Aber die Sache hatte ihr Gutes. Sie verspeisten den Ochsen ohne J.R. und der Koch, den sie engagiert hatten, verliebte sich in die Tochter des Nachtportiers und ist heute noch auf der Ranch. Er wurde in Paris, Rom und Mailand ausgebildet. Es heißt, er sei der beste Koch Rumäniens, aber da das kaum jemand weiß, ist er nur der beste Koch Slobozias. Wir werden ihn vermutlich ganz für uns allein haben.«
Wie gut die rumänische Kopie der Southfork-Ranch gelungen ist, können nur echte Fans beurteilen. Rezeption, Bar und Wohnzimmer werden von roh behauenen Holzbalken getragen, Geweihe, Wagenräder und ausgestopfte Vögel schmücken die grob verputzten Wände. Am Empfang hängen Bilder der Familie Ewing. Die Angestellten tragen Cowboystiefel, auch die breithüftige Frau, die uns unsere Zimmer im ersten Stock zeigt.
Wenig später treffen wir uns zum Abendessen. Unser Tisch ist im Gegensatz zum rustikalen Grundton der Umgebung betont elegant gedeckt. Weißes Porzellan, weiße Tischwäsche, schweres, poliertes Tafelsilber, Kerzenlicht. Mir gegenüber sitzt Birgul in seinem nicht mehr ganz so verstaubten Anzug. Er trägt ein anderes Hemd und eine Krawatte. Gut, dass ich mich zu Hause in letzter Minute entschlossen habe, ein schwarzes Kleid und dazu passende Schuhe einzupacken. Jetzt gut angezogen zu sein, gibt mir das erste Mal seit Tagen das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Ich habe mir wie Birgul ein Steak bestellt. Nach der Geschichte mit dem verliebten Koch gehe ich das Risiko ein. Wenn der Koch glücklich ist, möchte er vielleicht auch andere glücklich machen. Jeder, der einmal ein perfektes Steak gegessen hat, ist danach nie mehr mit etwas Schlechterem zufrieden. Sein weiteres kulinarisches Leben wird von ganz wenigen Höhepunkten und sehr vielen Enttäuschungen geprägt sein. Ein perfektes Steak ist innen rosa, und jedes Mal, wenn man ein Stück abschneidet, rinnt ein wenig Blut in den Teller. Das Messer gleitet sanft durch das zarte Fleisch. Genau so ein Steak liegt jetzt auf meinem Teller, dazu gibt es Kartoffelpüree, frecherweise mit Ingwer und Zimt gewürzt, sowie grüne Bohnen mit Speck, etwas Knoblauch und Thymian.
Wir essen schweigend. Wer will schon reden, wenn etwas Gutes auf dem Teller liegt? Nach dem Essen plaudern wir über dies und jenes, aber Birgul wartet auf eine Erklärung, das spüre ich. Was sage ich jetzt bloß? Sicher nicht die Wahrheit. Dabei ist er so liebenswürdig. Wir stehen auf und nehmen unseren Wein mit in das angrenzende Wohnzimmer. Die Kellnerinnen haben es sich auf einem der fünf Sofas vor dem laufenden Fernseher bequem gemacht, wir nehmen auf einem zweiten Platz. Ein Nachrichtensprecher verliest die Neuigkeiten des Tages. Birgul übersetzt:
Die EU-Kommission hat Bukarest Millionenkredite für die Einführung einheitlicher Tickets im öffentlichen Nahverkehr bewilligt.
Wegen der bevorstehenden Wahlen bleiben ausländische Investoren auch in diesem Jahr zurückhaltend.
Als die dritte Meldung verlesen wird, verliert Birguls Gesicht die Farbe, meins wahrscheinlich auch. Er übersetzt stockend:
In der Provinz Neamt wurde der deutsche Journalist Hans Dietzendorf tot aufgefunden. Trotz rätselhafter Tatumstände vermutet die Polizei, dass der Mann durch einen Unfall ums Leben kam. Die Ermittlungen werden fortgesetzt.
Es berichtet ein Sprecher vor Ort. Hinter ihm ragen bewaldete Berghänge empor. Nebelschwaden ziehen dahin.
Weitere Kostenlose Bücher