Sintflut (German Edition)
Übernachten.
Ich gehe zum Auto und schließe die Fahrertür auf. Ein Mann steht auf der anderen Seite und deutet auf den Boden. Habe ich etwas verloren? Ich gehe zu dem Mann. Er zeigt weiter auf den Boden und ich schaue unter das Auto. Öl tropft auf den Asphalt und bildet bereits eine stattliche Lache.
Der Mann will mir helfen. Aber es dauert einen Tag. So viel verstehe ich, nachdem er fünf Minuten auf mich eingeredet hat. Niedergeschlagen öffne ich den Kofferraum. Der Mann hebt mein Gepäck heraus und rollt mit einem der herumstehenden LKW-Fahrer das Auto davon. Ich stehe da und schaue ihnen nach, bis sie es in den Hof einer Werkstatt geschoben haben, die gleich hinter dem Motel liegt.
Zurück zur Rezeption. Eine herbeigerufene Kellnerin führt mich zu einem Zimmer. Es geht zur Straße raus. Ich möchte aber lieber auf die andere Seite, weil es da vielleicht ruhiger ist. Achselzuckend zeigt sie mir ein anderes Zimmer. Die Fenster sind von innen zugenagelt, zwei grünlich schillernde Fliegen sitzen neben einem Stück Käserinde auf der Fensterbank. Die Kellnerin zieht die Gardine zu, die Fliegen bleiben sitzen.
Jetzt möchte ich doch das Zimmer zur Straße, die Kellnerin sieht genervt aus, aber das ist mir egal. Als sie weg ist, schaue ich mich um. Das Bett wirkt sauber und es gibt keine Fliegen. Auf einem Tisch steht ein Fernseher, der nicht funktioniert. Es gibt einen Balkon mit Trennwänden links und rechts. Auch in diesem Zimmer sind die Fenster zugenagelt, nur die Balkontür lässt sich öffnen. Vor dem Balkon eine Baumreihe, dahinter gleich die Autobahn, keine zehn Meter entfernt.
Zurück an der Rezeption zahle ich das Zimmer im Voraus. Die Frau trägt die Summe auf einen Quittungsblock ein, zieht aber das Kohlepapier ein Stück nach unten, damit die Zahlen auf dem Durchschlag nicht erscheinen. Dann gibt sie mir das Original und wenn ich weg bin, wird sie eine kleinere Summe eintragen und die Differenz für sich behalten.
Zum Abendessen gibt es Fleisch mit Pommes und Salat. Ich habe nichts bestellt, es kommt einfach, kurz, nachdem ich mich hingesetzt habe. Sollte ich jemals gedacht haben, es gäbe für alles eine Grenze, dann habe ich mich geirrt. Zum Beispiel Pommes: matschig sind sie oft, aber jede Portion ist es auf ihre Art. Die eine ist lauwarm und halbroh, die nächste lauwarm und versalzen. Mal schmecken sie nach Fisch, mal nach Pappkarton. Aber immer denkt man, schlechter geht’s nicht. Doch diese Portion setzt neue Maßstäbe, denn obendrauf liegen Haare. Nicht eines, nicht zwei, sondern viele. Als hätte sie jemand absichtlich draufgelegt.
Ich lasse den Teller stehen und gehe in mein Zimmer. Der Holzstuhl, den ich unter die Türklinke stelle, weil sich der Zimmerschlüssel nicht umdrehen lässt, ist solide gebaut und hat die richtige Höhe. Wer auf diesem Weg zu mir rein will, muss schon die Tür eintreten. Dann schalte ich Handy und Notebook ein und schaue nach, ob Post da ist. Es ist tröstlich, dass wenigstens die Geräte funktionieren, aber Post habe ich deshalb noch lange nicht. Was ist mit Max los? Ich wähle seine Nummer, doch er ist nicht erreichbar. Ich rufe zu Hause an, um wenigstens mal seine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören. Ich schreibe ihm, dass Hans Dietzendorf tot ist, wo ich bin und wo ich morgen hinfahre. Falls mir was passiert. Er wird sich Sorgen machen, wenn er das liest, aber genau das brauche ich jetzt. Dass sich jemand um mich sorgt.
Angezogen lege ich mich auf das Bett. Die Luft ist stickig, also öffne ich die Balkontür und schiebe das Bett so davor, dass sie nur einen Spalt aufgeht. Während ich noch denke, dass ich bestimmt nicht schlafen kann, nicke ich auch schon ein und wache erst am Morgen wieder auf. Die Lastwagen, die die ganze Nacht am Hotel vorbeidonnerten, hatten sogar etwas Beruhigendes: Solange ich sie hörte, wusste ich, dass ich noch am Leben war.
Hoffentlich ist das Auto fertig. Ich ziehe mich rasch an und gehe zur Werkstatt hinüber. Auf dem Hof davor stapeln sich Kupplungsscheiben, Kardanwellen und Zylinderkolben, Hühner scharren im Dreck, ein gelber Hund liegt angekettet hinter dem Hoftor und bellt, als ich eintrete. Eine alte Frau sitzt auf zwei alten Autobatterien und schält Kartoffeln. Sie nickt mir zu und schreit etwas auf Rumänisch. Der Automechaniker kommt aus der Werkstatt und hält den Daumen hoch. Dann zeigt er auf die 12 eines altmodischen Weckers, den er extra herbei holt und sagt: »ok«. Mein Auto wird fertig, wenn
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