Sintflut (German Edition)
auch erst in einer Stunde.
Als ich zurück bin, bestelle ich mir eine Tasse Kaffee, nehme sie mit in mein Zimmer, öffne die Balkontür, trete auf den Balkon. An den Lärm habe ich mich gewöhnt. Das merke ich daran, dass ich ein Ohr für die Geräusche im Vordergrund entwickelt habe: das Getschilp der Spatzen, das Gegacker eines Huhns, die Stimmen eines Mannes und einer Frau aus dem Nebenzimmer.
In der Trennwand zum nachbarlichen Balkon befindet sich ein Astloch. Als ich höre, wie sich quietschend die Balkontür vom Nachbarzimmer öffnet, werde ich neugierig und spähe hindurch. Eine Frau in hellblauem Unterrock kommt heraus und kämmt ihr blondes Haar. Es ist Anna Lenz.
»Was hast du gesagt?«, ruft sie ins Zimmer hinein.
Jetzt tritt Fleischmann auf den Balkon, stellt sich hinter sie, legt die Hände auf ihre Schultern und flüstert ihr etwas ins Ohr. Offensichtlich sind sich die beiden näher gekommen. Das Ganze macht jedoch einen eher unfrohen Eindruck. Das alte Spiel: Attraktive Frau lässt hässlichen Mann an sich ran, um sich Vorteile zu verschaffen. Der Mann nimmt sich, was er kriegen kann. Die Frau kann nur schlecht verbergen, wie widerlich ihr das ist. Er winselt um ihre Gunst, doch sie reagiert immer abweisender. Sobald sie hat, was sie will, wird sie ihn fallen lassen. Der Mann weiß das und versucht, die Frau möglichst lang hin zuhalten. Anna macht einen Schritt zur Seite, windet sich aus Fleischmanns Umarmung und dreht sich zu ihm um.
»Erklär’ mir lieber, wie es jetzt weiter geht. Meine Kollegen sind hinter uns her. Und wir zwei sind zu spät dran. Sogar eine Marlene Adler ist jetzt längst über alle Berge.«
Fleischmann hat ihr gesagt, wer ich bin. Marlene Adler, eine fränkische Hausfrau, die so tut, als wäre sie ihre Schwester. Dass ich früher bei der Polizei war, weiß er offensichtlich nicht. Woher auch. Paula war politisch immer links und es war ihr peinlich, eine Schwester bei der Polizei zu haben.
›Sogar eine Marlene Adler ist jetzt längst über alle Berge‹, hat Anna gesagt. Fast muss ich lachen, denn immerhin bin ich noch da, hocke hinter einer dünnen Bretterwand und beobachte sie durch ein Astloch. Damit bin ich noch langsamer, als Anna Lenz mir zutraut. Es ist immer gut, wenn die Gegner einen unterschätzen.
»Warum regst du dich auf?«, erwidert Fleischmann und spielt den Coolen. »Du wirst als Erste über das achte Weltwunder berichten. Ich weiß, wie es von hier aus weiter geht und wohin Marlene gefahren ist. Die anderen wissen es nicht. Der Einzige, der es wissen könnte, ist tot. Ich bin ganz dicht dran, mein Schatz. Und du auch, solange du an mir dicht dran bist.«
Fleischmann lacht, aber nicht lange. Anna lässt ihn ein Stück näher kommen und spricht jetzt sehr leise, ich verstehe kein Wort. Dann dreht Fleischmann sich um, verschwindet im Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Anna bleibt zurück, aber nach einer Weile gibt sie ihren Außenposten auf und geht ebenfalls ins Zimmer zurück.
›Das achte Weltwunder‹, hat Fleischmann gesagt. Dafür ist Anna bereit, mit ihm herumzumachen. Durch ihn hat sie einen Vorteil vor ihren Kollegen. Und er hat offenbar die richtigen Schlüsse gezogen, seit ich mit dem Foto bei ihm war. Was hat er gesehen? Was wissen die anderen Journalisten? Sie hoffen auf eine Story, die ihre Namen unvergesslich macht. Wer nährt diese Hoffnung und warum?
Anna und Fleischmann haben mich ohne Probleme gefunden. Sie sind direkt hierher gefahren, während ich in der Gegend herumfuhr. Woher wussten sie vom Motel Paradis? Und woher, das ist ja noch viel erstaunlicher, weiß Fleischmann, wo ich als Nächstes hinfahre? Das habe ich doch gerade selbst erst herausgefunden. Hat er die Frau an der Rezeption bestochen? Irgendwie glaube ich das nicht. Fleischmann hat sicher nach mir gefragt und die Frau hätte sagen können: Klopfen Sie doch mal an die Tür von Zimmer 15. Aber das hat sie nicht getan. Ob sie Akan einen Gefallen schuldet?
Ich packe meine Sachen. Als ein besonders lauter Lastwagen vorbeifährt, gehe ich rasch den knarrenden Gang hinunter und verlasse das Hotel durch den Hinterausgang. Keineswegs möchte ich noch mal zurückkommen, also laufe ich mit dem Koffer zur Werkstatt. Das Auto ist fertig. Ich gebe dem Monteur sein Geld und fahre sofort los.
Die Autobahn ist jetzt überwiegend eine Baustelle. Arbeiter rackern sich mit den Baumstümpfen ab, die die Fahrbahn säumen. Lastwagen schaffen Stämme weg und blockieren die Straße.
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