Sintflut (German Edition)
nichts. Doch seit Langem weiß ich mit diesen Aussetzern umzugehen. Ich lasse die Maschine dann einfach zwei bis drei Monate stehen, hole sie eines Tages wieder hervor, streiche über ihr Gehäuse, rede ihr gut zu, hole ein paar Wollmäuse aus ihrem Bauch und dann näht sie wieder. Viele Meter.
Warum sollte es bei einem Notebook anders sein? Seit Tagen war es untätig. Während ich andere Sorgen hatte, lag es bequem im Haus und im Auto herum. Also schalte ich es wie gewohnt ein und tue so, als ob alles in Ordnung wäre. Die Software läuft stabil, nur das Mailprogramm nicht. Ich drücke ein paar Tasten. Nichts. Ich lege die Hand auf den Deckel. Nichts. Ich schiebe es genervt zur Seite und das Netzkabel löst sich. Da der Akku leer ist, schaltet es sich sofort ab. Ich starte neu, gehe auf die Terrasse, trinke, rauche. Das ist der beste Trost, den es jetzt für mich geben kann. Soll ich in meinem Zustand vielleicht eine Jogaübung machen? Oder ein Glas Sojamilch trinken? Bah. Schon nach dem ersten Glas nehme ich plötzlich war, dass der Himmel voller Sterne ist, die Luft warm und schmeichelnd. Die Idee der Askese verblasst, die Idee des schönen Lebens formiert sich neu. Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, läuft das Reparaturprogramm. Es bleibt stecken, dann verkündet es, dass es den Fehler zwar nicht finden kann, der Betrieb aber trotzdem weitergeht. Bald darauf erscheint die Startseite. Ich gehe online, es funktioniert. Ich rufe meine Mails ab. Es funktioniert. Herein kommt eine neue Nachricht von Jutta, erst gestern geschrieben. Und ich muss sie zweimal lesen, bevor ich verstehe, was da steht.
Liebe Marlene, bitte kommen Sie so schnell wie möglich. Max ist im Waldkrankenhaus hier in Erlangen, ich habe es gerade erst erfahren. Er ist beim Klettern abgestürzt und lag in einer Felsspalte, wo ihn ein Bergsteiger fand. Irgendwo in Rumänien, heißt es, und er sei allein gewesen. War er denn nicht bei Ihnen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr.
Max ist ohne Bewusstsein, aber er wird es schon schaffen. Geben Sie mir durch, wann Sie ankommen. Ich hole Sie dann vom Flughafen ab.
Jutta Bandelow
Nein, Max war nicht bei mir. Anscheinend war niemand bei ihm, denn er war allein, als man ihn fand. Also doch keine andere Frau? Vielleicht wollte er zu mir und mich überraschen. Mir fällt ein Stein vom Herzen, aber andere rutschen gleich nach. Was ist passiert und warum?
Ich rufe im Krankenhaus an und erfahre: Max hat sich die Beine, die Arme und ein paar Rippen gebrochen und liegt wegen einer inneren Verletzung auf der Intensivstation. Ich kann ihn morgen besuchen und er ist über den Berg. Ich stelle mir vor, wie er da liegt, krank und blass, und mir graut davor, die Details zu erfahren. Was wollte er in Rumänien? Es sähe ihm zwar ähnlich, mir heimlich nachzufahren, dann unvermittelt irgendwo aufzutauchen und »Gestatten, Max Adler!« zu sagen, aber er würde mich doch nie so lange im Ungewissen lassen und mich derartig zur Verzweiflung treiben. Oder etwa doch?
Und während ich mich das alles frage, macht sich ein ungeheuerlicher Verdacht in meinem überreizten Hirn breit. Wie in Trance stehe ich auf, gehe zum Koffer, öffne ihn schwer atmend und hole meine verdreckte Jacke heraus. Greife in eine der Taschen und habe es in der Hand: Das Notizbuch, das ich einsteckte und im Sog der Ereignisse völlig vergaß. Ich schlage es auf und weiß sofort, wem dieses Buch gehört. In meinem Kleiderschrank steht ein Karton mit Liebesbriefen in derselben Schrift.
Ich sitze eine Weile still da. Was ist das für ein Verrückter, mit dem ich seit acht Jahren verheiratet bin? Kein normaler Mann jedenfalls, der einfach nur mit einer 30-Jährigen durchbrennt. Das ist schon mal gut und er kann verbrochen haben, was er will, aber das hat er mir wenigstens nicht angetan.
Plötzlich bekommt alles eine andere Bedeutung. Sein Arbeitszimmer zum Beispiel. Ich habe das nie richtig ernst genommen. Fand es eher rührend, wie er sich da oben oft stundenlang verkroch, bis der Hunger ihn in die Küche trieb. In diesem Zimmer geht es im Grunde nur um ein Thema: die großen Entdecker, Weltreisenden und Schatzsucher dieser Welt. Das hatte ihn schon erwischt, als ich ihn kennenlernte, und dabei ist es auch in all den Jahren geblieben.
Ich steige die Treppe hinauf. Die Tür zu seinem Zimmer ist nur angelehnt, der Geruch nach alten Büchern und dem abgeschabten Ledersessel, auf dem er immer sitzt, dringen bis in den Flur. Ich mache Licht
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