Sintflut
ist es schon dagewesen,« begann mit lauter Stimme Wrzeszczowicz, »daß eine belagerte Festung sich durch Lösegeld frei gekauft hat. Die Belagerer ziehen dann Siegern gleich ab, denn wer ein Lösegeld zahlt, bekennt sich als besiegt.«
Die Offiziere, die zuerst dem Redner mit unverkennbarer Geringschätzung zugehört hatten, spitzten die Ohren.
»Möge das Kloster uns Lösegeld zahlen,« fuhr Wrzeszczowicz fort, »dann wird niemand behaupten, daß wir die Festung nicht mit Gewalt nehmen konnten.«
»Aber sie werden darauf nicht eingehen.«
»Ich setze meinen Kopf, ja, noch mehr, meine Ritterehre, dafür ein. Was sagen Sie dazu, Exzellenz?«
»Ich habe durch Ihre Vorschläge schon viele Sorgen gehabt,« antwortete Müller, »aber diesen nehme ich mit Dank an.«
Alle atmeten erleichtert auf; es blieb wirklich nichts anderes als der schimpfliche Rückzug übrig.
Am nächsten Morgen versammelten sich alle in Müllers Quartier, um Kordeckis Antwort auf die Forderung des Lösegeldes abzuwarten.
Plötzlich klirrten die Fensterscheiben, durch eine laute Salve erschüttert.
»Was heißt das? Schüsse aus der Festung?« rief der General und lief wie toll aus dem Zimmer. Die anderen folgten ihm alle.
Wirklich kamen die Schüsse aus der Festung.
»Was soll das nur bedeuten? Schlagen sie sich untereinander oder was?« schrie Müller. – »Ich verstehe das nicht!«
Aber was er sah, bestürzte ihn aufs äußerste. Bei der ersten Salve verließen die schwedischen Wachen ihre Stellungen auf den Schanzen und stoben in größter Unordnung auseinander. Ein ganzes Regiment auserlesener Schützen flüchtete sich in die Nähe seines Quartiers, und an Müllers Ohren drangen die Worte der Offiziere:
»Es ist Zeit, die höchste Zeit, den Rückzug anzutreten!«
Allmählich beruhigte man sich draußen; der Feldherr und seine Offiziere gingen wieder in das Zimmer. Bald darauf hörten sie im Flur Sporengeklirr, und ein Trompeter, blaurot vor Kälte, mit bereiftem Schnurrbart, trat ein.
»Eine Antwort aus dem Kloster,« sagte er, indem er dem General eine in ein rotes Tuch gehüllte Rolle überreichte.
Müller durchschnitt eiligst die Schnur, und begann das Tuch zurückzuschlagen. Die Augen aller waren auf die Rolle gerichtet. Der General riß ungeduldig die Enden des Tuches auseinander, und auf den Tisch fielen – Oblaten.
Müller erblich, und obwohl ihn niemand nach dem Inhalt der Rolle fragte, sagte er dumpf:
»Oblaten!«
Es entstand Grabesstille.
»Pan Wrzeszczowicz!« rief der General mit vor Wut entstellter, Unheil verkündender Stimme.
»Der Graf ist fort!« antwortete einer der Offiziere. – Und wieder wurde es still.
Des Nachts machte sich das ganze Lager auf die Beine. Sobald das Tageslicht erlosch, bemerkte man im Kloster, daß eine lebhafte Bewegung im schwedischen Lager vorging. Man vernahm Pferdegewieher, Rädergeknarre, Kommandorufe und Kettengerassel.
»Wahrscheinlich bereiten sie zu morgen einen neuen Angriff vor,« sprachen die Wachen am Tore zueinander.
Der Himmel bedeckte sich dichter und dichter mit Wolken; es begann zu schneien. Gegen fünf Uhr morgens war es ganz still im schwedischen Lager. Der Schnee fiel stärker und stärker. Er hüllte schon das ganze Kloster in einen dicken, weichen Mantel ein, als wollte er es vor den Augen der Belagerer, vor ihren Verderben bringenden Kugeln und Bomben schützen.
Endlich begann es zu tagen. Man läutete gerade zum Frühgottesdienst, als die Wachen am Nordturm Pferdegewieher vernahmen.
Am Tore war ein Bauer, der ganz mit Schnee bedeckt war. Hinter ihm, auf der Straße, stand sein Schlitten, vor den ein magerer Gaul gespannt war.
»He! Leute öffnet!« schrie der Bauer.
»Wer da?« fragte die Wache.
»Ein unsriger. Ich hab' euch Wild gebracht.«
»Wie, haben dich denn die Schweden durchgelassen?«
»Welche Schweden?«
»Die das Kloster belagern!«
»He! Sind keine Schweden mehr da.«
»Fort! – Gelobt sei Jesus Christus!«
»Ihre Spuren hat der Schnee schon längst bedeckt.''
Die Nachricht verbreitete sich mit Blitzesschnelle im ganzen Kloster. Von dem Kirchturme wurde sogleich Sturm geläutet. Kaum war eine Viertelstunde vergangen, als der ganze Hof mit Frauen, Kindern und Mönchen gefüllt war. Die einen stürzten auf die Wälle, um nach den Schweden auszusehen, die anderen schluchzten und lachten abwechselnd vor Freude.
Einige Stunden später schon war der Fuß des Berges und die Landstraße mit Leuten überfüllt. Die Tore des Klosters
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