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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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daß er betete und weinte.
    Kmicic vertiefte sich auch in sein Gebet; doch unwillkürlich richteten sich seine Augen wieder auf den Unbekannten.
    Ohne Zweifel war dieser Mann eine hohe Persönlichkeit. Er trug ein schwarzes, mit Zobelpelz gefüttertes Gewand und einen großen, weißen Spitzenkragen, durch den man eine goldene Kette leuchten sah. Neben ihm lag ein schwarzer Hut mit Federn, und ein Page hielt seine Handschuhe und einen blau emaillierten Degen. Das Gesicht des Unbekannten war durch den Teppich und eine lange Lockenperücke verdeckt.
    Die Betenden und auch der Geistliche blickten mit tiefem Mitgefühl und größter Achtung auf den Mann.
    Kmicic stieß seinen Nachbar leise an und fragte:
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe. Wer ist das?« Er richtete seine Augen fragend auf den Unbekannten.
    »Sie kommen wohl von weit her? – Das ist der König.«
    »Nicht möglich!« sprudelte Kmicic heraus.
    In diesem Augenblicke begann der Pater das Evangelium zu lesen, und der König erhob sich.
    Pan Andreas sah ein gelbes, wie Wachs durchsichtiges, mageres Gesicht. Die Augen des Königs waren feucht, die Lider leicht geschwollen. Das Geschick des ganzen Landes hatte sein Siegel auf diesem edlen Antlitz abgedrückt. Unendlicher Kummer und tiefes Leid, schlaflose, im Gebet verbrachte Nächte, die Bitterkeit eines von allen verlassenen Verbannten, das gekränkte Gefühl der gedemütigte Enkel und Urenkel mächtiger Könige zu sein, der Undank des Landes, für das er bereit war, sein Leben und Blut zu opfern – das alles hatte in seinen Zügen tiefe Spuren hinterlassen. Aber die Augen dieses Mannes blickten so sanft, alles vergebend, daß selbst der schlimmste Verbrecher seiner Gnade gewiß sein konnte.
    Der Anblick des Königs tat Kmicic bitter weh, er fühlte, daß seine Augen sich mit Tränen füllten. Die Bereitwilligkeit, dieser leidenden Majestät sein Blut, sein Leben und all seine Kräfte zu weihen, wuchs zu einem heftigen Verlangen. In diesem Augenblicke erstarb in ihm der selbstherrliche, ungestüme Schlachtschitz, und der Royalist, der mit ganzer Seele seinem Könige ergeben ist, erwachte.
    Die Messe war zu Ende, aber weder der König noch Kmicic rührten sich von der Stelle.
    »Erlauben Sie mir eine Frage, wer sind Sie?« fragte der Nachbar Pan Andreas.
    Kmicic fuhr zusammen wie jemand, der aus tiefem Schlafe geweckt wird.
    »Ich? – Ich bin Babinicz aus Litauen.«
    »Und mein Name ist Lugowski, ein Höfling des Königs. – Sie kommen also aus Litauen?«
    »Nein, aus Czenstochau!«
    Pan Lugowski war einen Augenblick starr vor Staunen.
    »O, wenn es so ist, so kommen Sie mit mir. Seine Majestät grämt sich sehr über das Schicksal Czenstochaus, da er ohne jede bestimmte Nachricht von dort ist. – Ja, ja. – Sie sind gewiß einer aus Zbrozeks oder Kuklinowskis Regiment? Sie kommen also von Czenstochau?«
    »Ja, direkt aus der Festung.«
    »Sie scherzen! – Wie steht es da? – Leistet Jasno-Gora noch Widerstand?«
    »Es verteidigt sich immer noch, und die Schweden sind bald so weit, den Rückzug anzutreten.«
    »Gott sei gedankt! Der König wird Sie für diese Nachricht mit Gold überschütten. – Sie sagen also, Sie kommen direkt aus dem Kloster? – Wie aber haben denn die Schweden Sie durchgelassen?«
    »Ich habe sie selbstredend nicht erst darum gebeten. – Aber verzeihen Sie, hier in der Kirche kann ich Ihnen das doch nicht alles erzählen.«
    »Richtig, richtig!« gab Pan Lugowski zu. »Warten Sie einmal, wir wollen an die Tür treten, dann kann ich Sie gleich dem Könige vorstellen.«
    Kaum hatten sie den Platz eingenommen, als Jan-Kasimir sich erhob und zur Tür schritt.
    »Majestät!« rief Pan Lugowski. »Hier bringt jemand Nachrichten aus Czenstochau.«
    Das gelbliche Gesicht Jan-Kasimirs belebte sich sofort.
    »Wie? Wer bringt Nachrichten?« fragte er lebhaft.
    »Dieser Schlachtschitz hier; er sagt, er komme direkt aus Czenstochau.«
    »Ist das Kloster denn schon genommen?« rief der König erschrocken.
    Pan Andreas warf sich zu des Königs Füßen; Jan-Kasimir aber bückte sich nieder und hob ihn auf.
    »Später, später! Jetzt stehen Sie auf, um Gottes willen, stehen Sie auf! Sprechen Sie, – – ist das Kloster genommen?« Kmicic stand auf.
    »Es ist nicht genommen, gnädiger Herr, und es wird nicht genommen werden. Die Schweden sind geschlagen, ihre größte Kanone ist in die Luft gesprengt worden. Hunger, Unglück und Furcht herrschen im schwedischen Lager. Man beginnt sich mit

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