Sintflut
Wittemberg, »die Brücke ist noch nicht fertig, sie werden alle bis auf den letzten Mann niedergemetzelt werden!«
Der König blickte zum Flußbett hinunter. Das gelbe Wasser des angeschwollenen Flusses flutete dahin; man konnte nicht daran denken, ihn zu überschreiten. – Und jenseits, am anderen Ufer, mordeten die Polen die Kannebergsche Abteilung. Die ganze schwedische Armee sah wie in einem alten römischen Zirkus dem grausigen Schauspiel mit zusammengepreßten Zähnen zu, Verzweiflung und das Bewußtsein der eigenen Machtlosigkeit im Herzen. Zuweilen hörte man gellende Schreie und wehes Schluchzen herüberhallen.
Nach einiger Zeit trat tiefes Schweigen ein, die Ruhe des Todes, die nur von dem schweren Atem der hilflos Zusehenden unterbrochen wurde. Kannebergs Reiter waren die Blüte und der Stolz der schwedischen Armee gewesen; es waren alles Kriegshelden, die sich in Gott weiß wie vielen Schlachten und Ländern mit Ruhm bedeckt hatten. Und jetzt waren sie wie eine Herde auf einer weiten Wiese herumgejagt worden und dem Messer des Schlächters zum Opfer gefallen.
Am meisten hatte auf der polnischen Seite der kleine Ritter auf dem prächtigen Falben gewütet. Jeder, der seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war unvermeidlich eine Beute des Todes geworden. Pan Michail war sehr zufrieden mit sich; er erntete auch am Schlusse des Gefechtes das größte Lob.
Dann blies man bei den Polen zum Rückzuge. Ein jeder nahm seinen Platz ein. Die polnischen Truppen stellten sich am Rande des Waldes auf, als wenn sie dem Feinde eine Schlacht anbieten wollten. Auf einem Schimmel ritt ein Mann mit goldenem Stabe in der Hand die Reihen entlang.
Die Schweden erkannten ihn gleich und riefen:
»Czarniecki! Czarniecki!«
Man sah, wie er zu dem kleinen Ritter, der Kanneberg verwundet und gefangen genommen hatte, heranritt, ihm seine Genugtuung aussprach und freundlich die Hand auf seine Schulter legte. Schließlich gab er mit seinem Stabe ein Zeichen, und die Regimenter verschwanden wieder im Walde.
4. Kapitel.
An diesem Abend legten sich die Schweden hungrig schlafen und ohne die geringste Hoffnung, sich irgendwie am nächsten Morgen stärken zu können. Bevor die Hähne zu krähen anhuben, begannen die Soldaten einzeln und in Haufen das Lager zu verlassen, um in den umliegenden Dörfern auf Plünderung auszugehen.
Niemand von all diesen kehrte wieder zurück. Sie wurden von den bewaffneten Bauernscharen aufgegriffen und vernichtet. Die bewaffnete Schar des Pan Strzalkowski trieb eine kleinere Abteilung Schweden sogar bis zu ihrem Lager zurück.
Die erschrockenen Schweden glaubten, daß ein starkes Heer, wohl gar der Chan mit einer ganzen Horde, auf sie einen Überfall mache. Es entstand eine fürchterliche Verwirrung im Lager, und eine noch nie dagewesene Panik, die die Offiziere kaum unterdrücken konnten, brach aus. Der König, der die ganze Nacht hindurch nicht vom Pferde gestiegen war, begriff, was daraus folgen könnte, und rief deshalb bei Tagesanbruch einen Kriegsrat zusammen. Die Sitzung währte nicht lange; es gab ja keine Wahl mehr. Der Geist in der Armee war gesunken, die Soldaten hatten nichts zu essen, und die feindlichen Kräfte wuchsen mit jeder Stunde.
Der schwedische Alexander, der der ganzen Welt gelobt hatte, den polnischen Darius sogar bis in die tatarischen Steppen zu verfolgen, mußte jetzt unbedingt an seine eigene Rettung denken.
»Soviele Siege, soviele Opfer! – Und doch bleibt uns nichts anderes als zurückgehen!« sagte Douglas, sich verzweifelt an den Kopf fassend.
»Sie können keinen anderen Rat geben?« fragte Wittemberg.
»Ich kann nicht,« erwiderte Douglas.
Karl-Gustav, der bis dahin kein Wort gesprochen hatte, erhob sich zum Zeichen, daß die Beratung beendet wäre, und sprach:
»So befehle ich den Rückzug anzutreten!«
Dieser Befehl wurde im ganzen schwedischen Lager mit Begeisterung aufgenommen. Noch befanden sich genügend Festungen und Schlösser in den Händen der Schweden, so daß man auf dem Rückzuge Speise und Ruhe finden konnte.
Generale und Mannschaften gingen mit solchem Eifer an die Vorbereitungen zum Rückzuge, daß diese Begeisterung, wie Douglas bemerkte, an Schmach grenzte.
Douglas selbst marschierte auf königlichen Befehl mit einer Abteilung voraus, um den Übergang über die San zu sichern und die Wälder zu untersuchen. Bald folgte ihm das Gros des Heeres in Schlachtordnung, mit den Geschützen in der Front und der Infanterie an den Flügeln.
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