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Sintflut

Sintflut

Titel: Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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geschmückte Speisezimmer. Die von Kugeln durchbohrten Schädel schwebten noch an ihren Nägeln; die von Säbeln zerstochenen Porträts ihrer Ahnen sahen streng auf das Mädchen herab, als wollten sie sagen: »Sieh, Enkelin, was man mit uns gemacht hat!«
    Alexandra fühlte, daß sie in diesem beschimpften Hause nicht einen Augenblick schlafen könne. Es schien ihr, als wenn in den dunklen Ecken der Zimmer sich die Schatten seiner Kameraden bewegten. Und er? Wie schnell sank der von ihr grenzenlos geliebte Mann von Stufe zu Stufe. – Der Überfall auf Upita und Wolmontowicze, – der Dienst bei Radziwills, – der Verrat, – und endlich der Anschlag auf den König, den Vater der Republik.
    Die Nacht verstrich, und kein Schlaf wollte die Augen der armen Alexandra schließen. Die Wunden ihrer Seele öffneten sich alle wieder und brannten schrecklich. Ihre Augen waren trocken, ihre Wangen glühten vor Scham, aber das Herz schlug unruhig und heiß unter dem plötzlichen Erwachen des Mitleids.
    Und was bemitleidete sie? Alles konnte sein, wenn er bei all seinem wilden Ungestüm wenigstens ein reines Herz in seiner Brust getragen hätte, – ein Herz, das nicht rücksichtslos alle Grenzen überschritten hätte. – O, was hätte sie ihm dann nicht alles verziehen! Welche Schande wäre sie nicht bereit mit ihren Tränen abzuwaschen!
    Anna Borzobohata, der der Miecznik das Leid Alexandras verraten hatte, kam auf Alexandra zu und umfaßte ihren Hals mit ihren Armen.
    »Liebste,« sagte sie, »ich sehe, daß dir in diesem Hause sehr schwer ums Herz ist.«
    Alexandra wollte zuerst nichts erwidern, dann aber brach sie wider Willen in Schluchzen aus, und ihr Kopf sank an die Brust der Freundin.
    »Beten wir für ihn!« flüsterte Anna leise.
    »Nein, – das kann ich nicht, kann ich nicht! –Was forderst du von mir? – Dein Babinicz hat sich vor Gott und den Menschen mit Ruhm bedeckt, – du bist glücklich. – Und ich wage es nicht einmal, für ihn zu beten. – Hier sind überall Blut und Trümmer um mich, die er verschuldet hat! – Wenn er nur nicht so offenkundig sein Volk verraten hätte! – Ich habe ihm schon einmal alles vergeben, alles, – in Kiejdane, weil ich dachte, – weil ich ihn von ganzem Herzen liebte. – Und jetzt kann ich es nicht mehr! O barmherziger Gott, ich kann es nicht!«
    »Für jeden Menschen muß man beten können,« sagte Anna. »Gott ist barmherziger als die Menschen.« – Und sie sank auf die Knie nieder.
    Auch Alexandra fiel zu Boden und verharrte so bis zum Morgen.
    Als der Morgen anbrach, verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft des Miecznik in Lauda. Wer noch am Leben war, ging, um den Angekommenen zu begrüßen. Aus den Wäldern kamen hundertjährige Greise heraus und Frauen mit kleinen Kindern; die Männer waren alle dem Rufe Wolodyjowskis gefolgt. Die Dörfer waren entweder niedergebrannt oder von ihren Bewohnern verlassen. Zwei Jahre lang hatte niemand sein Feld bestellt.
    Der Pan Miecznik wurde überall wie ein Retter begrüßt. Die armen, zu Tode gequälten Leute glaubten, daß, wenn der Pan Miecznik nicht allein, sondern mit der »Panna« auf seinen Stammsitz zurückkehrte, der Krieg und alle Leiden beendet sein müßten.
    Freilich waren in der Nähe, in Poniewiez, noch Schweden. Aber der Pan Billewicz fürchtete sie nicht und wollte selbst die Offensive ergreifen, um die ganze Gegend zu säubern. Vorläufig warb er neue Krieger an und bereiste die umliegenden Dörfer.
    Und was er da zu sehen bekam, war überaus traurig. In Wodokty waren alle Wirtschaftsgebäude und auch die Hälfte des Dorfes niedergebrannt. Wolmontowicze war wieder aufgebaut und wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Die Bevölkerung ringsum war bis zur Hälfte niedergemetzelt, und den überlebenden Greisen und Knaben war auf Befehl des Obersten Roß der rechte Arm abgeschlagen worden.
    Das waren die Früchte des Verrates von Janusz Radziwill.
    Noch bevor der Miecznik seine Besichtigung des Distriktes beendet hatte, kamen teils frohe, teils schreckliche Nachrichten, die in der ganzen Gegend lauten Widerhall fanden.
    Jur Billewicz, der mit einigen Soldaten nach Poniewiez geschickt worden war, hatte einen Schweden abgefangen, von dem er die letzten Nachrichten ausforschte.
    »Pan Gosiewski hat Waldeck, Israel und den Fürsten Boguslaw geschlagen. Ganz Preußen steht in Flammen. Babinicz kommt nach Smudien und vernichtet alles, was sich ihm in den Weg stellt.«
    Nach einigen Tagen schon wurden die

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